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Frag Mama um Rat

Anthony Hamilton liefert ein Gegenprogramm zu Hip-Hop-Hedonismus und Stretchlimo-Gangstern. An seiner Schulter kann der Zuhörer ausatmen.

Mit dem frisch gewählten US-Präsidenten Barack Obama scheint auch im afroamerikanischen Pop ein neues Männlichkeitsideal Auftrieb zu erhalten. Die alten muskelbepackten Gangster-Poseure wirken plötzlich wie Fossile, während Versöhnungsprediger den Typ der Stunde verkörpern.

Anthony Hamilton kann davon nur profitieren. Wie lautet noch mal das Attribut, das dem Soulsänger aus North Carolina am häufigsten angehängt wird? Erwachsen! Mag der Mann auch von Rapstars regelmäßig für ein paar steinerweichende Refrains ins Studio gebeten werden – in seinen eigenen Songs verkörpert er doch eher die Antithese zum jugendlichen Hip-Hop-Hedonismus.

»Sollte es nicht fürs Kino reichen / können wir auch einfach daheimbleiben…«, gospelt er im erdigen Bariton auf seinem neuen Album The Point Of It All. Das Video zu seiner ersten Single-Auskopplung Cool liefert ein entsprechendes Szenario: Der Sänger fährt eine Schrottschüssel, muss unter einem lecken Hausdach leben, kann seine Rechnungen nicht begleichen und zelebriert trotzdem die Liebe zu seinem Mädchen. Ein Klischee – das aber gerade durch den Kontrast zur Stretchlimousinen-Ikonographie des zeitgenössischen Rhythm ’n’ Blues seinen Witz gewinnt. An anderer Stelle fragt Hamilton seine Mutter um Beziehungsrat, oder er verkündet in Prayin’ For You, dass er für seine Geliebte »beten würde«.

Man kennt solche Zeilen noch am ehesten aus dem Soul der sechziger und siebziger Jahre, von den mitfühlenden Hymnen eines Curtis Mayfield, Bobby Womack oder Bill Withers. Anthony Hamilton modernisiert deren Botschaft: Seine Songs verbinden akustische Gitarren mit programmierten Beats und bleiben dabei dennoch stets der bluesgetränkten Wärme des Southern Soul verpflichtet.

Vor allem aber: Hamilton erzählt glaubwürdige Geschichten. Selbst wenn der Sänger in The News über Funkgitarren den Nachruf auf einen ermordeten Crackschieber falsettiert, bleibt es persönlich: floh doch der kleine Drogendealer Hamilton einst aus Charlotte, North Carolina, nach New York, um einem ähnlichen Schicksal zu entkommen. Dort schlief er in U-Bahn-Waggons, hielt sich als Friseur über Wasser und heuerte als Backgroundsänger für Größen wie Tupac Shakur oder D’Angelo an.

Auf seine Chance als Solist musste Hamilton jahrelang warten. Die Plattenfirmen ließen zwei fertige Alben einfach liegen, befanden den Mann als »zu unkommerziell« für ein Massenpublikum. Bis er 2003 mit dem trotzigen Debüt Comin’ From Where I’m From einen veritablen Hit landete.

Seitdem lieh Hamilton dem Soundtrack von American Gangster seine Stimme, sang als Duettpartner von Al Green und unterstreicht auch mit seinem dritten Album, dass Soul weder Eskapismus noch Macho-Werte zu befördern braucht: Ihn habe am Soul immer die Verletztheit und Verletzlichkeit seiner Protagonisten angezogen. »Hinter den rüden Anmachphrasen verstecken sich doch gewöhnlich allzu unsichere Menschen, die versuchen, ihr Herz zu schützen. Ich dagegen biete meinen Zuhörern meine Schulter an: damit sie mal wieder ausatmen können…«

„The Point Of It All“ von Anthony Hamilton ist erschienen bei Zomba/Sony BMG.

Dieser Text ist entnommen aus DIE ZEIT Nr. 3 vom 8. Januar 2009.

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Parfüm ehelicht Schweiß

Die Musik der Bamboos stimmt den Hörer selig: Sie swingt tanzbar und hat den Amy-Winehouse-Faktor. Das Album „Side-Stepper“ bringt jede Weihnachtsfeier zum Kochen

Auf Betriebsfeiern fühlt sich der DJ besonders allein. Die Kumpels dürfen nicht hin, die Freundin hat Besseres zu tun. In Clubs und Bars herrschen Musikbegeisterung und Tanzwut – Betriebsfeiern hingegen beherrscht die Arbeit, sie bestimmt die Unterhaltungen der Gäste. Und wenn der DJ keinen Spaß hat, verkommt seine Kunst zur Dienstleistung. Immerhin ist diese in aller Regel gut bezahlt.

Jochen macht das schon lange. Bei der Weihnachtsfeier dieses Heizöllieferanten tritt er nun bereits das dritte Jahr in Folge an die Plattenteller. Ein Schulfreund hatte ihn damals gebucht. Doch nun ist er weit weg, auf einer Bohrinsel. Jochen gibt sein Bestes. Gute Musik will er spielen, nicht die herkömmlichen Fetenknaller von der 3CD-Box aus der Tankstelle. Und doch kann er es keinem recht machen: Die Sekretärin möchte die Bee Gees hören, der Chef „markige Gewinnermusik – Rwooack!“, der Azubi wünscht sich HipHop, die Abteilung Mahnwesen will Amy Winehouse. Mit Depeche Mode kann Jochen nicht dienen, die mag er einfach nicht.

Auf Betriebsfeiern spaltet jede Musik die Menge der Tanzenden. Entweder ist sie nicht gut, oder nicht banal genug. Was des einen Po zum Wackeln bringt, kommt dem anderen zu den Ohren heraus. Jochen begreift: Seine Aufgabe besteht heute darin, die Gemüter zu beschwichtigen. Glücklich wird hier niemand. Die ideale Musik für Betriebsfeiern muss erst erfunden werden. Muss?

Die Erfindung der Idealen Musik Für Betriebsfeiern, kurz IMFB, verdanken wir einem Zufall. Denn Jochen hält es nicht aus bei dieser Feier. Um 23 Uhr schleicht er sich durch den Hinterausgang und türmt im Taxi. Auf seine Gage wird er verzichten müssen. Weil sich niemand für ihn interessiert, legt er eine CD ein und lässt sie durchlaufen: Side-Stepper von The Bamboos, einer australischen Funkband. Jochen hat sie noch gar nicht gehört. Er hätte es besser tun sollen.

Denn ausgerechnet diese CD erfüllt alle Wünsche und eint die Anwesenden. Die Musik der Bamboos macht glückselig, IMFB bis zum Umfallen. Sie swingt, hat Soul, ist tanzbar und sie hat das, was der Musikindustrie das größte Ding seit dem Cher-Effekt ist: den Amy-Winehouse-Faktor. Sie klingt alt und aktuell zugleich. Jochen ist noch nicht zu Hause, da kocht die Party. Der Azubi tanzt mit der Nudel aus der Buchhaltung, der Chef hat das Buffet mit seinem Hinterteil abgeräumt und selbst der Prokurist frohlockt. Auf dieser Feier gibt es keine Hierarchien mehr, kein lässig oder verkrampft, auf diesem Tanzboden sind alle gleich. Und sie benehmen sich entsprechend.

Wenn die Stimmen der Gastsängerinnen Megan Washington und Kylie Auldist ertönen, werden die Hüften obszön gedreht, Parfüm ehelicht Schweiß. Wenn die Bamboos es ohne Sängerin versuchen, blüht ihre Spielfreude. Und wenn ein Brite namens TY rappt, freut sich nicht nur der Azubi.

Ein Jahr später wundert sich Jochen, dass der Heizöllieferant ihn wieder als DJ für die Weihnachtsfeier engagiert. Er hätte besser bleiben sollen.

„Side-Stepper“ von The Bamboos ist auf CD und LP erschienen bei Tru Though/Groove Attack.

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Zwischen gestern und morgen

Das Berliner Produzenten-Kollektiv Jazzanova huldigt alten Helden und schafft doch etwas Neues. Aus HipHop, Soul, Reggae und Jazz entsteht „Of All The Things“

Aktuelle Musik muss sich immer gegen die Töne der Vergangenheit verteidigen. Wie kann man der Tradition huldigen, ohne ein Imitat zu produzieren? Ständig erscheinen Platten, bei denen man sich fragt, weshalb man nicht einfach zum Original greift. Auch im Soul ist das so. Neben den Futuristen, die vor lauter Produktion die Lieder vergessen und den Erben des Schlafzimmersoul musizieren zahllose traditionsbewusste Soulmänner und -Frauen, die einem Stevie Wonder und Marvin Gaye wieder näher bringen.

Das sechsköpfige Kollektiv Jazzanova war bislang für die Verbindung von fortschrittlicher Produktion und Traditionsbewusstsein bekannt. Beim ersten Hören ihrer neuen Platte Of All The Things beschleicht einen das Gefühl, sie hätten sich nun ganz auf die Seite der Traditionalisten geschlagen. Waren ihre bisherigen Produktionen verschachtelte digitale Basteleien, haben sie nun zahlreiche echte Musiker in ihr neuerdings mit allerhand analoger Gerätschaft ausgestattetes Studio eingeladen. So klingt der Soul auf Of All The Things wie in den Sechzigern und Siebzigern.

Alles schon dagewesen also? Von wegen, Jazzanova gelingt es, etwas Neues zu schaffen, das den Geist des Originals atmet. Zum Einstieg grüßen lässig gehauene Congas, eine verhuschte Orgel und eine prägnante Gitarre. Phonte, der Sänger auf Look What You’re Doing To Me klingt wie Justin Timberlake und ein Isley-Bruder in einem. Hier geben sich Tradition und Moderne noch die Hand. Auf Let Me Show Ya dann wirbeln die Streicher, jubilieren die Bläser und singt der Chor der Engel als seien die Tage des symphonischen Soul nicht längst vergangen. Das Arrangement könnte von Curtis Mayfield sein, die Mischung aus ernsthafter Predigt und überkandideltem Himmelsversprechen ebenso. I Can See wiederum hat etwas von Northern Soul.

Jürgen von Knoblauch – einer der drei DJs bei Jazzanova – erzählt, dass jedes Stück auf Of All The Things eine Vorlage habe, ein Stück, aus dem etwas übernommen wurde, um daraus etwas Eigenes zu formen. Welches die Vorlagen sind, verrät er nicht. Manchmal ist es jedoch leicht zu erraten: Die Streicher des funkelnden Poplieds Lie stammen eindeutig aus Michelle von den Beatles.

Schwieriger ist etwa die Vorlage der elegischen Ballade Little Bird auszumachen. Dramatisch steigert sich das Stück bis zum Crescendo der Streicher. Rockin‘ You Eternally ist eine Coverversion – und der Komponist Leon Ware singt hier selbst. In den Händen von Jazzanova wird aus Rockin‘ You Eternally genau der deliriöse Schlafzimmer-Soul, den Leon Ware in den Siebzigern für Marvin Gayes Meisterwerk I Want You produzierte.

Und die Reise durch das Geschmacksuniversum Jazzanovas geht immer weiter: Hier ein butterweicher Abstecher in den HipHop, dann über beschwingten Jazz zum brasilianischen Pop. Das plüschige Dial A Cliche beschließt diese wunderbare Platte. Da hat man das Raten längst aufgegeben und genießt, wie Jazzanova den Vorbildern Tribut zollen und doch etwas Ebenbürtiges geschaffen haben.

„Of All The Things“ von Jazzanova ist auf CD und LP erschienen bei Verve/Universal.

Mehr von Jazzanova ist zu hören am Donnerstag, dem 06.11., um 22 Uhr beim Netzradio ByteFM an. Markus Schaper widmet der Band seine Sendung „60minutes“.

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Menschlicher Dampfkochtopf

„Jim“ heißt das dritte Album des Engländers Jamie Lidell. Es wirkt so ehrlich und handgemacht, als stamme es aus analoger Zeit. Seine Stimme hat Soul, und die Musik klingt wie… Ja, wie eigentlich?

Jamie Lidell Jim

Jamie Lidell – was macht der für Musik? Schwer zu sagen in einem Wort.

Nennen wir es Soul.
Ach, wie Erykah Badu? Nein.
Nennen wir es R’n’B.
Wie Mariah Carey? Nein.
Nennen wir es Funk.
Wie Bootsy Collins? Nein.
Nennen wir es Elektropop.
Wie 2Raumwohnung? Nein!

Es hilft alles nichts. Über Jamie Lidell muss man ein paar Worte mehr sagen.

Wie wär’s mit Retro-Soul-Gospel-Folk-Funk-Avantgarde-Rock-Pop? Das klingt griffig, da fühlt sich jeder angesprochen. Doch im Ernst, es gibt heute unzählige Genres und Subgenres. Orientierung bieten sie nur noch den Jugendlichen, die nicht wissen, wie sie sich kleiden sollen. Setzen wir voraus, die Leser dieser Rezension entscheiden selbst, wieviel Stoff ihre Beine und welche Musik ihre Ohren umspielt und nehmen Abstand von herkömmlichen Genre-Begrenzungen.

Vertrauen wir nicht den Begriffen, vertrauen wir den Menschen, vertrauen wir Jamie Lidell. Der 34-jährige Engländer hat gerade sein drittes Soloalbum veröffentlicht. Jim heißt es, wie der frohgemute Teil seiner multiplen Persönlichkeit. Und es klingt so ehrlich und handgemacht, als stamme es aus analoger Zeit.

„Ich wollte einen Bogen von der Musik der fünfziger bis Ende der siebziger Jahre spannen“, sagt Lidell im Interview. „Die Achtziger und Neunziger habe ich ausgelassen, weil ich lange genug in Berlin gelebt habe. Da wird man zugeschüttet mit solchen Sounds.“

Er beherrscht auch die digitalen Spielarten, hat mit Matthew Herbert gearbeitet und im Duett mit Cristian Vogel als Super_Collider Elektrokrach aufgenommen. Auf seinem zweiten Album Multiply, das im Jahr 2005 erschien, mischte er alten Soul mit aktuellen Klängen und Schnitten. Jim nun rauscht durch die Dekaden, stellt Rock’n’Roll, Hillbillyfunk und Country-Balladen nebeneinander. Seine Soul-Stimme verbindet die verschiedenen Stile zu einem Gesamtwerk.

Jamie Lidell kann laut und leise, doch immer schlagen die Funken, es bratzelt vor Energie. Wer ihn einmal im Konzert erlebt hat, dem offenbart sich eine andere Welt. „Straight out of nothing into a hurricane“, singt er ganz treffend, und so fühlt sich auch seine Musik an. Wir hören Schellenkränze, Orgeln, feines Geplucker, Glockenspiel, Gitarren, Schlagzeug und viel Hintergrundchor.
Mit einer Die-Welt-ist-so-aufregend-ich-muss-euch-davon-erzählen-Geste springt Jamie Lidell vor die Band. Das Gewöhnliche lässt er links liegen. Liebe, Schmerz und Schönheit sind Impressionen, er muss sie nicht beim Namen nennen.

In der sonnigen Nummer Green Light stellt er fest: „It’s only a trick, if you make it a trick. It’s only a good thing, if you make it a good thing.“ Man verschaffe sich freie Fahrt ins Leben, dann fügten sich die Dinge. Aber nicht immer ist alles lässig. Bisweilen steht Jamie Lidell unter großer Anspannung. Er sei ein menschlicher Druckkochtopf kurz vor der Explosion, schreit er in Get This Out Of My System. Dampf ablassen, die Musik ist ein Ventil.

Was auch immer da rauskommt, es pfeift warm, melodiös und kraftvoll. Drücken wir beide Augen zu und nennen es Soul, der Stimme wegen. Eigentlich ist es einfach nur Pop. Ach, wie Madonna und Robbie Williams? Nein!

„Jim“ von Jamie Lidell ist erschienen bei Warp Records/Rough Trade.

Wir trafen Jamie Lidell und seine Ichs in Hamburg. Hier geht’s zur Bildergalerie »

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Da, die Badu

Erykah Badu schmiegt sich mit ihrem renitenten Soul in erstaunlich viele Ohren. Ihr neues Album „New Amerykah“ ist ein zuckersüßes Experiment.

Erykah Badu New Amerykah

Muss man Drogen nehmen, um Drogenmusik zu hören und zu verstehen? Sicherlich nicht. Genau genommen, muss man gar keine Drogen nehmen, denn Musik ist oft Droge genug. Sie kann die Welt auf den Kopf stellen, Naturgesetze außer Kraft setzen und gleichzeitig vorwärts und rückwärts laufen.

„Total bekifft“, denkt man beim ersten Hören von Erykah Badus neuem Album New Amerykah. „Total bekifft“, denkt man auch nach dem zwanzigsten Durchlauf. Der Rhythmus schleppt, das elektrische Klavier nudelt. Richtungslos und schwer zu fassen ist die Musik. Badus soulige Stimme mischt sich dezent dazwischen, statt in den Vordergrund zu drängen. Das Album klingt homogen, seine Einzelteile sind schwer zu greifen. Es macht den Hörer ratlos. Ist das gut oder schlecht? Ist es langsam oder langweilig?

Die Texanerin Erykah Badu ist eine der erfolgreichsten Soulsängerinnen der Gegenwart. Sie ist 37 Jahre alt, vier Grammys schmücken ihre Vitrine, ihre beiden bisherigen Studioalben verkauften sich millionenfach. Ihre Freude am Experiment hat die kommerzielle Strahlkraft nie getrübt. Und so kann sie sich einiges leisten: Das zuckersüße Honey wird zwar als erste Single ausgekoppelt, auf dem Album erscheint es nur als verstecktes Lied ganz am Ende. Sie bricht die Regeln des Marketings, die Irritation schärft ihr Profil. Dem Erfolgsdruck setzt Erykah Badu Krudes entgegen und bewahrt so ihre Eigenständigkeit.

Amerykahn Promise eröffnet das Album mit Funk, der klingt, als hätte man Watte in den Ohren. The Healer schleppt sich geduldig über einen grandiosen Rhythmus des kalifornischen Produzenten Madlib. Zwischen Dub, Reggae, HipHop und indischer Musik pfeifen die Synthesizer und schwelgen die Stimmen. Langsam taucht die Badu ins Unterbewusste ab, die CD läuft, man fiebert aber nicht mit. An Höhepunkten ist New Amerykah arm, zum Gipfel sollen andere streben.

Eingelullt von Flöten, hallenden Stimmen und der kratzigwarmen Stimme seiner Protagonistin frönt man dem musikalischen Rausch – diese Musik ist eine Droge.

„New Amerykah Part One (4th World War)“ von Erykah Badu ist erschienen bei Universal Motown.

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Der Tiger schnurrt noch immer

Über die Jahre (34): Kein Album verkaufte sich so gut wie Michael Jacksons „Thriller“. Jetzt wird die erfolgreichste Platte der Popgeschichte wiederveröffentlicht, aber der Qualität von damals ist auch nach 25 Jahren nichts hinzuzufügen.

Michael Jackson Thriller

Am 4. April 1982 betrat Quincy Jones die Westlake Studios in Los Angeles, um Michael Jacksons zweites Soloalbum zu produzieren. Jones hatte genaue Vorstellungen von seiner Arbeit. »Wir sind hier, um die Musikindustrie zu retten«, sagte er zu seinen Kollegen. Im Gepäck hatten Jones und Jackson eine Auswahl von Stücken, an denen sie in den vergangenen Monaten fieberhaft gearbeitet hatten. Sie sollten zu einem Album werden, dessen Dramaturgie Michael Jackson mit Tschaikowskys Nussknacker-Suite verglich.

Nicht einen Schwachpunkt sollte die Platte haben – in der Vision von Jackson und Jones hatte Füllmaterial keinen Platz. Jedes Lied musste ein Höchstmaß an Hitpotenzial besitzen, um das Album in die Charts zu bringen. Auf den überwältigenden Erfolg des Ergebnisses war trotz aller Berechnungen niemand vorbereitet gewesen.

Mehr als 100 Millionen Mal verkaufte sich das Album seit seiner Veröffentlichung. Sieben Singles schafften es in den Achtzigern in die Billboard Top Ten. Damit waren die Grundsätze der Musikindustrie in Frage gestellt: Bisher hatten sich Künstler damit abgefunden, durchschnittlich zwei Stücke eines Albums als Singles auszukoppeln. Die weitläufige Annahme, zu viele Singles könnten dem Album als Gesamtwerk schaden, wurde von Thriller eindrucksvoll widerlegt. Hernach musste kommerzieller Erfolg neu definiert werden.

Bereits mit seiner visionären Disco-Dekonstruktion Off The Wall hatte Jackson alle Schallgrenzen durchbrochen. Die spielerische Dynamik von Don’t Stop ‚Til You Get Enough oder Working Day And Night wich nun einem kalkulierten Pop-Sound. Die neun Stücke auf Thriller schossen querfeldein und erreichten damit nahezu alle Hörerschichten. Das war zuvor nur wenigen schwarzen Künstler gelungen. Dieses Album war weder Disco, noch Rock oder Soul. Es war – wie sein Schöpfer mittlerweile – nicht einmal besonders schwarz. Michael Jackson schuf mithin das erste interkulturelle Popalbum.

So buhlt die weiße Popkultur, verkörpert von Paul McCartney, mit dem schwarzen Superstar um die Aufmerksamkeit eines Mädchens: The Girl Is Mine. Auch der Schulterschluss mit der uralten Heimat gelingt. Im Lied Wanna Be Startin‘ Somethin‘ zitiert der Hintergrundchor den afrikanischen Saxofonisten Manu Dibango.

Michael Jacksons Image wurde für diese Platte gründlich überarbeitet. Hatte er auf der Hülle des Vorgängeralbums noch als Disco-König in weißen Tennissocken posiert, zeigte nun das Foto zu Thriller den Sänger im lässigen weißen Anzug. Auf seinen Knien ruht ein junger Tiger, statt eines strahlenden Lächelns trägt der Sänger einen nüchternen Blick im Gesicht. Dieses Bild wurde zum Symbol schwarzer Coolness.
Das Album überrascht den Hörer mit Humor. Thriller ist eine Platte voller Spielzeug, sie klingt nach Geisterbahn, Schmonzette und Kindergeburtstag zugleich. Wenn im Titelstück der Altmeister des Horrorfilms Vincent Price mit Grabesstimme von Zombies und Vampiren rappt, ist das purer Kitsch. Michael Jackson ist sich der Fallhöhe durchaus bewusst. Sein naives Vergnügen an Rollenspielen prägt das gesamte Album. So inszeniert er sich als gefühlvoller Lover (Baby Be Mine), harter Straßenjunge (Beat It) oder vom Großstadt-Blues geplagter Stalker (Human Nature). Seine hervorragende Stimme verleiht all diesen Figuren Glaubwürdigkeit.

Thriller hat bis heute nichts von seiner Faszination eingebüßt, weil es die Balance zwischen inszenierter Künstlichkeit und Authentizität wahrt. Besonders die musikalische Perfektion lässt es auch nach 25 Jahren noch aktuell klingen. Wie schon für die Aufnahmen zu Off The Wall luden Quincy Jones und Michael Jackson nur die profiliertesten Musiker ins Studio ein. Neben dem ehemaligen Miles-Davis-Schlagzeuger Ndugu Chancler machte auch die halbe Besetzung der Rockband Toto mit. Die Professionalität der Studiomusiker, deren Namen sich nur im Kleingedruckten auf der Plattenhülle wiederfanden, verleihen dem Album eine zeitlose Qualität. Das Material ist ganz auf Michael Jackson zugeschnitten, kein Musiker-Ego stört die Ein-Mann-Schau.

Nur einen Ausbruch gönnt sich der Rockfan Jackson: Er verpflichtete den Gitarristen Eddie van Halen, der auf Beat It eines der berühmtesten Soli der Popmusik einspielte. Ein Geniestreich: Nie zuvor hatte ein weißer Hardrock-Gitarrist über ein Disco-Stück gespielt. Was 1982 noch als unmögliche Paarung erschien, gilt heute Künstlern wie Daft Punk, Justin Timberlake oder LCD Soundsystem als selbstverständlich.

Der eigentliche Höhepunkt des Albums ist jedoch eine einzige Basslinie. Das Motiv aus Billie Jean markiert einen Wendepunkt in der schwarzen Popmusik: Klang der Bass in Stücken wie James Browns Sex Machine noch wie ein räudiger Straßenköter, verwandelt er sich auf Billie Jean in einen schwarzen Panther. Im Rahmen einer Gala zum 25-jährigen Jubiläum der Plattenfirma Motown bezeugte Michael Jackson diese Geschmeidigkeit:
Zu den Klängen von Billie Jean führte er hier zum ersten Mal den legendären Moonwalk auf.

Seitdem lässt sich das Stück kaum ohne die Tanzschritte Jacksons denken. Untrennbar ist Thriller mit dem damals aufstrebenden Musiksender MTV verbunden, der Jacksons innovative Videos in die Rotation nahm und ihre Ausstrahlung zu popkulturellen Großereignissen machte. Mit diesem Album bestärkte Michael Jackson seine visuelle Künstlerpersönlichkeit.

Bei soviel historischer Gewichtigkeit muss die Frage erlaubt sein: Was kann eine Wiederveröffentlichung des Albums der Legende noch hinzufügen? Bereits die im Jahr 2001 erschienene Special Edition gewann dem Werk trotz Demo- und Bonustracks keine neuen Perspektiven ab. Auch für die Jubiläumsausgabe verzichtete man auf eine umfassende Überarbeitung des Sounds. Quincy Jones‘ Produktion gibt es nichts hinzuzufügen.

Um jedoch den Einfluss von Thriller auf den Pop der Gegenwart zu verdeutlichen, durften sich Kanye West, Akon und Will.I.Am von den Black Eyed Peas als Remixer versuchen. Ihre Interpretationen klingen seltsam blutleer. Will.I.Am, der Jacksons neues Album produziert, zwängt The Girl Is Mine und P.Y.T. in ein R’n’B-Korsett. Keine Spur mehr von der Leichtigkeit der Originale. Peinlich gerät der Remix von Beat It, auf dem Will.I.Ams Kollegin Fergie vergeblich ihre Stimmbänder bemüht. Einzig Kanye West kann in seiner Interpretation von Billie Jean frische Ideen umsetzen; vor der Stärke des Originals muss aber auch er kapitulieren.

Dass die Nachahmer scheitern, liegt auch an der emotionalen Brisanz des Materials. Denn trotz all der guten Laune und Verspieltheit zeichnet Thriller bereits erste Gemütsschwankungen Jacksons auf. Es sind die Anzeichen der Paranoia, die sein späteres Werk und Leben bestimmen sollte. So ist Wanna Be Startin‘ Somethin‘ mit seinem hyperaktiven Funk-Groove Jacksons erste Antwort auf die öffentliche Vereinnahmung seiner Person. In Billie Jean ist es der Vorwurf, ein uneheliches Kind gezeugt zu haben, gegen den Jackson verzweifelt ansingt: »She says I am the one, but the kid is not my son«.
Gerade diese musikalisierte Zerbrechlichkeit lässt das Album knapp 25 Jahre nach seinem Erscheinen umso relevanter erscheinen. Thriller ist nicht nur als perfektes Popalbum zu verstehen, sondern vor allem als Spiegel der komplexen Persönlichkeit seines Schöpfers.

„Thriller“ von Michael Jackson ist im Jahr 1982 bei Epic Records erschienen. Die Jubiläumsausgabe „Thriller 25“ ist als Doppel-CD und Doppel-LP erhältlich. Die beiliegende DVD enthält drei Musikclips, sowie Jacksons Auftritt bei der Motown-25-Gala.

Sehen Sie hier die meistverkauften Platten der Musikgeschichte in einer Bildergalerie »

Weitere Beiträge aus der Serie ÜBER DIE JAHRE
(33) Smog: „The Doctor Came At Dawn“ (1996)
(32) Naked Lunch: „This Atom Heart Of Ours“ (2007)
(31) Neil Young: „Dead Man“ (1996)
(30) The Exploited: „Troops Of Tomorrow“ (1982)
(29) Low: „Christmas“ (1999)

Hier finden Sie eine Liste aller in der Serie erschienenen Beiträge.

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Elvis lebt in Addis Abeba

Anfang der Siebziger schepperten Soul, Funk und Jazz durch die Gassen der äthiopischen Hauptstadt, über 500 Platten erschienen. Die Serie Éthiopiques erinnert an die fünf goldenen Jahre des ostafrikanischen Landes.

The Very Best Of Ethiopiques

Kolonialisiert wurde Äthiopien nie, dennoch litt der Prozess der Demokratisierung unter typisch afrikanischen Problemen. Der Sturz des Kaisers Haile Selassie im Jahr 1974 brachte nicht die Freiheit, sondern eine Militärregierung. Mitte der Achtziger forderte eine Hungersnot Millionen von Opfern, als das Regime im Jahr 1991 zusammenbrach, hinterließ es eine traumatisierte Gesellschaft. Seitdem ist Äthiopien eine fragile parlamentarische Demokratie.

Alles wäre einfacher, drehte die Welt sich um Musik. Dieser Gedanke drängt sich auf, vertieft man sich in das Album The Very Best Of Éthiopiques, eine Zusammenstellung äthiopischer Pop- und Jazzmusik aus den Sechzigern und Siebzigern. Man lauscht den Klängen Mulatu Astatkes und versteht mehr von der Welt. Er zog nach England zum Studieren und kam mit Jazz und Latin-Musik zurück. Genau genommen ein Re-Import, bezieht sich der westliche Jazz doch bereits auf die Musik des schwarzen Kontinents. Astatke brachte ihn zurück nach Addis Abeba. Kein Jazz der Welt klingt wie seiner.

Die Geschichte der äthiopischen Musik ist eine Geschichte der Repressionen. Im Kaiserreich gab es nur eine staatliche Plattenfirma. Sie allein durfte Platten produzieren, tat es aber kaum. Im Jahr 1969, da schwächelte die Feudalherrschaft bereits, gründete der 25-jährige Amha Eshèté die erste unabhängige Plattenfirma. „Ich war sicher, niemand würde mich dafür umbringen. Allenfalls würde man mich eine Weile einsperren“, erzählt er heute. Er nannte die Firma Amha Records, ein Beweis seiner Furchtlosigkeit.

Amha Eshèté geschah nichts und die Hauptstadt Addis Abeba wurde zu Swinging Addis. Aus Polizeiorchestern gingen Bands hervor, das Nachtleben pulsierte. Westliche Einflüsse mischten sich mit Traditionellem, es vibrierten Funk und Soul. Wenn das Saxofon solierte, waren shellèla zu hören, die Strukturen altertümlichen Schlachtgesangs. Der populäre Sänger Alèmayèhu Eshèté galt den einen als äthiopischer James Brown, den anderen als äthiopischer Elvis.

Rund 500 Platten erschienen in den fünf Jahren bis zum Militärputsch, die meisten davon waren Singles. Die Aufnahmetechnik ist rudimentär, das Schlagwerk scheppert, Stimmen und Saxofone zerren übersteuert. Der Musik schadet das nicht, sie klingt warm und lebendig.

Der Umsturz nahm Addis den Swing. Musik wurde verdächtig, Nachtclubs geschlossen, der Spaß verboten. Viele der Künstler gingen ins Exil, mit ihnen Amha Eshèté. Die Produktion von Schallplatten kam im Jahr 1978 zum Erliegen. Die Musik der Gebliebenen veränderte sich, sie zogen sich ins Private zurück. Synthesizer ersetzen die Bands, so konnte unauffälliger produziert werden. Synthesizer können nicht swingen, die goldene Zeit der äthiopischen Musik war vorbei.

Ali Abdella Kaifa, der Betreiber des Tango Music Shop, brachte weiterhin viele der Aufnahmen unters Volk. Er wurde Ali Tango genannt und veröffentlichte Kassetten, denn sie waren leicht herzustellen und zu verbreiten. Es heißt, von einigen Titeln habe er mehr als 100.000 Stück verkauft.

Seit dem Jahr 1998 entstaubt das französische Label Buda Musique die musikalischen Perlen aus Swinging Addis. Mehr als 20 Alben und Kompilationen sind in der Serie Éthiopiques bereits erschienen, jede einzelne Platte ist hörenswert. Zum Einstieg eignet sich die nun erschienene Doppel-CD The Very Best Of Éthiopiques, sie zieht ein wohlklingendes Resümee der letzten zehn Jahre.

Haben sie genug vom Buena Vista Social Club? Dann hören Sie mal nach Äthiopien.

„The Very Best Of Éthiopiques“ ist als Doppel-CD erschienen bei Union Square Music/Soulfood Music.

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Curtis Mayfield: „Back To The World“ (Curtom 1973)
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Mark Ronson: „Version“ (Columbia/Sony BMG 2007)
Georgia Anne Muldrow: „Olesi: Fragments Of An Earth“ (Stones Throw/PIAS 2006)

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Sex im Gottesdienst

Über die Jahre (27): Er verfluchte die großen Gangster und ergriff Partei für die kleinen Dealer. Auf „Back To The World“ zeichnete Curtis Mayfield im Jahr 1973 ein Bild von Amerika.

Curtis Mayfield Back To The World

Das Siebdruck-Cover von Curtis Mayfields fünftem Soloalbum Back To The World zeigt Kampfjets, Industrielandschaften, obdachlose Schwarze, flamboyante Zuhälter, verarmte Kinder und Ratten in der Falle. Es ist das Jahr 1973, die Hoffnungen der Bürgerrechtsbewegung haben sich zerschlagen.

Legt man die Platte auf, hört man zunächst ein Flugzeug starten. Der Turbinenklang und ein pulsierender Bass verheißen Aufbruch. Das Titelstück entpuppt sich als das Klagelied eines Kriegsheimkehrers. Er hat keine Arbeit und findet sich nicht mehr zurecht. Der Krieg war lang und hart, seine Mutter ist sogar der Meinung, man hätte ihn verloren. Als Schwarzer im weißen Amerika muss man weiterhin vorsichtig sein, wohin man seinen Fuß setzt und wie man sein Haar trägt. Die neben Smokey Robinson süßeste Stimme des Soul trägt diese herzzerreißende Geschichte vor, im Hintergrund wirbeln Streicher, Bläser und ein unwiderstehlicher Groove.

Die nächste Nummer Future Shock ist ein fordernder Funk mit zackigen Bläsersätzen, unablässig klackernden Congas, pointierten Snare-Schlägen und Mayfields Wah-Wah-Gitarre. Dieser Sound war im Jahr zuvor durch seine Musik zu Super Fly zu einem Markenzeichen der Blaxploitation-Filme geworden. „Our wordly figures / Playin’ on niggers / Oh see them dancin’ / See how they’re dancin’ to the superfly / Ooh, ain’t it dumb / When you don’t know where we’re comin’ from“, distanziert sich Mayfield von der Verherrlichung des Lebens als Gangster. Einen Atemzug später fordert er Verständnis für die Drogendealer: „The price of the meat / Higher than the dope in the street / Is it any wonder / For those with nothing to eat.“ Eine Lösung ist aber auch der Drogenhandel natürlich nicht, „Son’s got it made / But still seems so afraid / There’s no love for his brother / No plans for another.“

In Right On For The Darkness konfrontiert ein Blinder die Wohlhabenden mit ihrer Ignoranz: „Your petty evils don’t bother me.“ Streicher überwältigen das Stück gegen Ende, sie sprechen eine andere Sprache. „We’re a hell of a nation / Right on for the darkness.“ Die erste Seite der Platte endet auf einer dunklen Note.

Seite 2 versucht einen illusorischen Neuanfang. „If I were only a child again / No one’s ever been so good to me since then / Everywhere I looked / It seemed so colour bright.“ Das Stück ist kurz und fröhlich, die Bläser jubilieren, schwungvolles Händeklatschen treibt es voran. Natürlich waren wir als Kinder nur zu jung, um die „Unsightly scars of death and war“ zu erkennen. Can’t Say Nothing ist ein Tribut an den psychedelischen Funk, den Norman Whitfield für die Temptations und Undisputed Truth entwarf. Weitgehend instrumental rockt das Stück über die Tanzfläche, das Orgel-Zwischenspiel deutet an, dass es weiter bergab gehen kann. Keep On Trippin’ nimmt den Hörer mit auf eine drogenfreie Reise. Es ist das heiterste Stück des Albums, leichtfüßig der Rhythmus, süß die Flöten, bittersüß die Streicher. Es ist ein Liebeslied, das Heilung verheißt. Sie hat ihn zwar verlassen, aber er glaubt an ihre Liebe und daran, dass sie zurückkommt.

Zum Schluss schickt Curtis Mayfield uns mit dem optimistischen Future Song in den Gottesdienst. „Heavenly Father“, singt er immer wieder, „I’ve got to testify“. Es ist eine dieser Soul-Nummern, in der sich die säkuläre Lust des Soul und die spirituelle Liebe des Gospel untrennbar verschränken. Die Orgel klingt, als würde sie in der Kirche stehen, gesungen wird an einem heimeligen Ort. Das Stück verheißt allumfassende Liebe, die mehr ist als Fleischeslust, „Take care a good woman / Take care a good man“. Das klingt naiv, doch da sind diese dunklen Untertöne. Immer wieder konterkariert Curtis Mayfield seine Vision brüderlicher Liebe. Auf seinem ersten Solo-Album Curtis sang er: „Niggas, whiteys, jews / If there’s a hell below / We’re all gonna go“. Wenn einem die Streicher und der süße Gesang auch den Himmel versprechen, es gibt immer eine Orgel oder Curtis Mayfields markante Gitarre, die einen an die Hölle auf Erden erinnern.

„Back To The World“ von Curtis Mayfield ist im Jahr 1973 bei Curtom/Warner erschienen.

Alle Beiträge aus der Serie ÜBER DIE JAHRE
(26) Codeine: „The White Birch“ (1994)
(25) The Smiths: „The Queen Is Dead“ (1986)
(24) Young Marble Giants: „Colossal Youth“ (1980)
(23) Sister Sledge: „We Are Family“ (1979)
(22) Rechenzentrum: „The John Peel Session“ (2001)
(21) Sonic Youth: „Goo“ (1990)
(20) Flanger: „Spirituals“ (2005)
(19) DAF: „Alles ist gut“ (1981)
(18) Gorilla Biscuits: „Start Today“ (1989)
(17) ABC: „The Lexicon Of Love“ (1982)
(16) Funny van Dannen: „Uruguay“ (1999)
(15) The Cure: „The Head On The Door“ (1985)
(14) Can: „Tago Mago“ (1971)
(13) Nico: „Chelsea Girl“ (1968)
(12) Byrds: „Sweetheart Of The Rodeo“ (1968)
(11) Sender Freie Rakete: „Keine gute Frau“ (2005)
(10) Herbie Hancock: „Sextant“ (1973)
(9) Depeche Mode: „Violator“ (1990)
(8) Stevie Wonder: „Music Of My Mind“ (1972)
(7) Tim Hardin: „1“ (1966)
(6) Cpt. Kirk &.: „Reformhölle“ (1992)
(5) Chico Buarque: „Construção“ (1971)
(4) The Mothers of Invention: „Absolutely Free“ (1967)
(3) Soweto Kinch: „Conversations With The Unseen“ (2003)
(2) Syd Barrett: „The Madcap Laughs“ (1970)
(1) Fehlfarben: „Monarchie und Alltag“ (1980)

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Wie ein Wohnzimmersteviewonder

In den eigenen vier Wänden in Amsterdam backt Benny Sings süßes Zeug. Seine Soul-Liedchen klingen beschwingt, sind liebevoll arrangiert und überzogen mit Zuckerguss aus Melodie.

Benny Sings Benny At Home

Das Sonntagsfrühstück! Knusprige Aufbackbrötchen, Marmelade drauf, frischer Kaffee. Kein Knoppers, das um halb zehn hektisch verschlungen wird. Keine traurige Restplörre aus der Thermoskanne. Nein, am Sonntag schmilzt die Butter auf dem Croissant. Die Musik, die dazu läuft, muss zuckersüß sein. Gemütlich und keinesfalls einschläfernd soll sie in den Tag geleiten.

Benny singt … zu Hause. Ein zotteliger Bärenmensch mit Vollbart und Schlaf in den Augen sitzt im Pyjama am Klavier. Seine Wohnung steht voller Instrumente – natürlich hat es sich dazwischen eine Frau bequem gemacht, um ihm zuzuhören. Konzentriert schaut sie in ihre Kaffeetasse. Der Künstler spielt melancholische Lieder mit Sonnenschein am Horizont. Die beiden müssen die Wohnung nicht verlassen. Es wird Abend, das Paar putzt Zähne und geht wieder ins Bett. Ein ereignisloser Tag geht zu Ende, die Jeans hängt unbenutzt im Schrank. Was für ein Leben.

Nach so einem faulen Tag klingt die Musik von Benny Sings, dem Zauselbarden am Klavier. Er macht Rhythm’n’Blues und Soulmusik mit beschwingtem Klavier, Schlagzeug und Gitarre. Wie ein Wohnzimmersteviewonder klingt er dabei. Manchmal gesellen sich Bläser hinzu. Benny bedient sich liebevoller Arrangements und hat eine unverwechselbare Stimme, seine Musik ist warm und luftig. Sie klingt weder aktuell noch verbraucht, aufgeregt schon gar nicht. Aufgenommen wurde Benny… At Home in Bennys Amsterdamer Butze in der Schlendrianlaan 43, so hört es sich jedenfalls an. Musik für Schokoladenwerbung hat er auch schon gemacht – Benny Sings’ akustische Zuckerbäckerei wird professionell geführt.

Eines morgens wacht der Sänger wieder alleine auf. Die Frau ist mit einem Steuerberater durchgebrannt. Benny stimmt das keineswegs mürrisch. Seine Haare hat er beim Videodreh zu Let Me In geopfert und einem Perückenmacher verkauft. Vom Erlös hat er neue Hausschuhe gekauft.

„Benny… At Home“ von Benny Sings ist erschienen bei Sonar Kollektiv/Rough Trade.

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Sister Sledge: „We Are Family“ (Atlantic/Warner 1979)
Mark Ronson: „Version“ (Columbia/Sony BMG 2007)
Georgia Anne Muldrow: „Olesi: Fragments Of An Earth“ (Stones Throw/PIAS 2006)
Stevie Wonder: „Music Of My Mind“ (Motown 1972)
Fink (UK): „Biscuits For Breakfast“ (Ninja Tune 2006)

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