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Du singst wie an der Bushaltestelle

Über die Jahre (24): Sie vertauschen Gitarre und Bass wie The Police. Aber sie klingen so anders! „Colossal Youth“ von den Young Marble Giants erscheint 1980 – und jetzt wieder.

Young Marble Giants Colossal Youth

Stuart Moxham spielt auf seiner Gitarre rhythmische Muster, sein Bruder Philip auf dem Bass die Melodie dazu. Eine Rhythmus-Maschine tuckert, gelegentlich kommt von der Orgel eine traurige Melodie, und Alison Statton singt charmant dazu. Als Colossal Youth von den Young Marble Giants im März 1980 erscheint, ist es eine kleine Sensation. Punk ist eben vorbei, und jetzt gibt es kaum jemanden, der sich nicht sofort in die Band verliebt.

Das Trio aus Cardiff in Wales existierte damals bereits seit zwei Jahren. Die Moxham-Brüder waren hagere, kurzhaarige Jungs, Zigaretten in den Mundwinkeln. Alison, die Sängerin, trug ein Mädchen-Kostüm auf, buntes Kleid, weiße Söckchen, Turnschuhe. Das schattige Foto auf der LP und die schlichte Gestaltung der Hülle versprachen Melancholie und Freudlosigkeit. Und in gewisser Weise erinnert die Musik der Young Marble Giants auch an Bands wie Joy Division und The Passage: in ihrer Kargheit und ihrem Ernst. Da ist nichts unkontrolliert oder wütend, da schäumt nichts über wie bei der Pop Group, The Slits oder The Raincoats.

Das Jahr 1980 war reich an neuen Klängen und wagemutigen Platten, das Album Colossal Youth aber sollte keine Grenzen überschreiten. Die Stücke waren kurz und eingängig. Sie verströmten eine Leichtigkeit, die selten war in dieser Zeit. Der Gesang Stattons klang beiläufig, so als würde sie nur für sich singen. Als sie am Ende des Jahres im Leser-Pool des New Musical Express in der Kategorie Beste Sängerin den achten Platz belegte, wunderte sich Stuart Moxham. Es heißt, er sei zunächst dagegen gewesen, die Freundin seines Bruders in die Band aufzunehmen: „Alison ist keine Sängerin! Alison singt, als wäre sie an der Bushaltestelle oder sonst wo.“

Es ist die Einfachheit und Selbstverlorenheit, die Abwesenheit von Kunstwollen und Virtuosität, die den bleibenden Charme der Young Marble Giants ausmacht. In ihrer Musik verbinden sie unvereinbar scheinende Einflüsse. Stuart Moxhams resonanzloser, abgehackter Gitarren-Klang hat etwas vom frühen Rock’n’Roll – den Twang Duanne Eddys, die Rhythmik Eddie Cochrans. Philip Moxhams Bass führt häufig die Melodie, er klingt wie eine zweite Gitarre. Ungewöhnliches ist die Orgel mit der eingebauten Rhythmusmaschine. Sie klingt wie eine Referenz an die Musik, die das britische Fernsehen zum Testbild spielte, wenn das Abendprogramm vorbei war.
Die Young Marble Giants veröffentlichten noch die instrumentale Testcard E.P. und die Single Final Day, dann lösten sie sich auf. Das letzte Stück war ein Kinderlied über die Apokalypse. Stuart Moxham soll es in der Zeit geschrieben haben, die man braucht, es anzuhören: in 1 Minute und 39 Sekunden.

„Colossal Youth“ von den Young Marble Giants ist im Jahr 1980 bei Rough Trade erschienen. Soeben wurde das Album bei Domino Records als LP und Doppel-CD wiederveröffentlicht. Die zweite CD enthält neben Demo-Versionen der Stücke des Albums sowohl die „Testcard E.P.“ als auch die drei Songs der „Final Day“-Single. Eine limitierte Dreifach-CD enthält zusätzlich die Peel Session der Band.

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(2) Syd Barrett: „The Madcap Laughs“ (1970)
(1) Fehlfarben: „Monarchie und Alltag“ (1980)

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Diese Stimme durchbohrt Wände

Eigentlich hatten Dizzee Rascal und Wiley die Stars eines neuen Stils werden sollen. Doch die Helden des Grime zerstritten sich. Auf ihren neuen Alben treten sie gegeneinander an.

Wiley Playtime Is Over

HipHop ist die Musik der regionalen Phänomene. Jeder Ort der Welt bringt seine eigene Spielart hervor. Schon immer klang Rap-Musik aus der Mutterstadt New York anders als die aus Los Angeles. Lange standen diese beiden Metropolen für Rap-Musik schlechthin. Später kamen Detroit, Atlanta und Philadelphia ins Rampenlicht. Musik ist von äußeren Umständen abhängig, selbst das Wetter spielt eine Rolle. HipHop hat sich zu einer weltweiten Sprache mit unterschiedlichen Dialekten entwickelt.

Rapper in England haben sich schwer getan, zu einer eigenen Form zu finden. Lange orientierten sie sich an den großen Brüdern aus Amerika. Beachtliche Einzelleistungen waren die Ausnahme, eine Bewegung war nicht zu erkennen.

Dann kam Grime. Eine Welle neuartiger Musik, die Anfang des Jahrzehnts aus den Piratenradios der Insel geblubbert kam. Einzelne Läden verkauften Mixtapes und unbeschriftetes Vinyl für DJs. Bald wurde Grime international wahrgenommen. Der ganz große Erfolg fehlt allerdings noch.

Diese Musik hat keine Mitte. Sie ist durch und durch extrem. Die Bässe wummern tiefer als anderswo. Darüber werden klirrend hohe Synthesizer und Samples geschichtet. Gerappt wird schnell. Entspannung ist hier nicht zu finden. Wenn ein Grimer eine Ballade versucht, klingt sie gehetzt. Grime ist Clubmusik. Wer so etwas zuhause hört, geht irgendwann die Wände hoch.

Jede Bewegung hat ihre Helden. Dizzee Rascal und Wiley veröffentlichten ihre Debütalben 2003 beim mächtigen Label XL Records. Stars sollten sie werden, und Grime sollte die Welt erobern. Doch die Verkäufe entsprachen nicht den Erwartungen. Wiley zerstritt sich mit seinem alten Kumpel Dizzee und verlor den Plattenvertrag.

Und nun kommen beide gleichzeitig mit neuen Alben zurück. Wiley macht auf Playtime Is Over Grime in Reinkultur. Die Bässe sind runder als vor drei Jahren, ansonsten hat sich wenig getan. Wer ein puristisches Grime-Album hören will, ist hier richtig. Rhythmisch vertrackt und jederzeit ungemütlich geht es zu. Die Stimme findet kaum Luft.

Rap lebt sehr vom Text. Wiley erzählt von seinem neuen Plattenvertrag. Wiley erzählt, wie er die Grime-Musik geprägt hat. Wiley erzählt, dass er sich nun vom Mikrofon zurückziehen wird, um jungen Künstlern den Vortritt zu lassen. Wiley ist neunundzwanzig und redet wie ein Methusalem von seinem Vermächtnis. Nicht sehr spannend.

Auf Letter To Dizzee wendet er sich an seinen alten Rivalen, wie im klassischen Drama. Hey, Kumpel, guck mal, was wir alles gerissen haben. Vergiss nicht, ich bin dein großer Bruder. Ruf mich an, und alles ist verziehen. Doch Dizzee Rascal ruft nicht an. Auf seinem Album Maths And English findet er für Wiley nur Schimpfworte.

Dizzee Rascal Maths and English

Dizzee Rascal will nach vorn. Er öffnet den Grime für Spielarten des amerikanischen HipHop. Die Klänge der frühen Neunziger transportiert er im Stück Pussyole (Oldschool) ins britische Jetzt. In texanischer Hitze trifft er auf die Gruppe UGK, Sirens ist dröhnend und gewaltig. Sogar am Jungle versucht er sich.

Maths And English ist ein abenteuerliches Album. Die Musik ist voller Zitate und streckt sich doch nach der Zukunft. Es gibt Enthusiasmus, Hunger und Handwerk. Und Stories. Rascal weiß sie zu erzählen, seine Stimme durchbohrt Wände. Lediglich die Duette mit der Sängerin Lily Allen und Alex Turner von den Arctic Monkeys sind misslungen. Es scheint schwer, eine Stimme zu finden, die mit Dizzees harmoniert.

Wer wird nun der Superstar des Grime – Wiley oder Dizzee Rsacal? Es ist wie im richtigen Leben: Man hört lieber dem zu, der nach vorne schaut. Wer ständig Sentiment und Frustration der Vergangenheit beschwört, dem schließen sich alsbald die Türen. Wiley hätte besser daran getan, sich nicht mit Dizzee Rascal zu messen. Dizzee Rascal hingegen kann von sich behaupten, dass er mit neunzehn einer war, der den Grime erfand. Und dass er ihn mit zweiundzwanzig zu neuer Höhe führt.

„Maths and English“ von Dizzee Rascal ist erschienen bei XL Recordings/Indigo, „Playtime Is Over“ von Wiley ist erschienen bei Ninja Tune/Rough Trade

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Ehrt den samtenen Untergrund

The Concretes aus Stockholm spielen frisch mit den Klängen und Stimmungen der sechziger Jahre.

The Concretes Hey Trouble

The Concretes beschwören die Geister der Vergangenheit. A Whales Heart von ihrem neuen Album Hey Trouble ist ein meisterhaftes Stück Velvet-Underground-Verehrung. Der prägnante Basslauf scheint Ode to Street Hassle von Spacemen 3 entlehnt. Diese wiederum hatten ihn – der Titel verrät es – den Streichern auf Street Hassle des ehemaligen Velvet-Underground-Sängers Lou Reed nachempfunden. Die Trommeln klingen, als hätte seine Kollegin Mo Tucker sie direkt an Georgia Hubley, die Schlagwerkerin von Yo La Tengo weitergereicht. Der sehnsüchtige Gesang und die dichten Wolken aus Gitarren- und Orgel-Sounds erinnern an eine weitere Band der späten achtziger Jahre, deren Referenz Velvet Underground waren: Galaxie 500. Warum also hört sich die Musik von The Concretes nicht an wie ein weiterer Aufguss eines allzu vertrauten Idioms? Warum verbindet sich das wohlige Gefühl der Vertrautheit mit der überraschenden Freude, etwas Neuem zu lauschen? Wie gelingt das diesen jungen Schweden nun schon zum dritten Mal auf Albumlänge?

Wer weiß, ob die siebenköpfige Band aus Stockholm die Wiedergänger der späten Sechziger, Bands wie Yo La Tengo, Galaxie 500 oder Spaceman 3, überhaupt kennen. Sie nähern sich der Tradition mit einer Frische und Unbekümmertheit, die es unerheblich macht, ob sie sich der Referenzen bewusst sind. Die Zitate werden nicht bedeutungsschwanger ausgestellt – seht her, was wir alles kennen –, sondern in immer neue Zusammenhänge gestellt. Und The Concretes sind weit davon entfernt, Drogenmusik zu machen. Sie benutzen den reichhaltigen Schatz an Klängen und Melodien auch nicht wie Galaxie 500, um eine Kathedrale der Melancholie zu bauen. Und schon gar nicht als Sprungbrett für solistische Krachexkursionen wie Yo La Tengo.

Überhaupt ist das Ausufernde ihre Sache nicht. Ihre Stücke sind perfekt geformte Kleinode. Sie sind selten länger als vier Minuten, jede Note sitzt. Da klingen sogar die barocken Arrangements der Beach Boys, die schimmernden Gitarrenströme der Byrds und die Euphorie der Girl Groups der sechziger Jahre noch mit. Die Melodien sind atemberaubend und eingängig. Die schnellen Nummern atmen immer einen Hauch von Melancholie. Und auch in den traurigen Liedern scheinen dieser besondere Humor und diese freundliche Empathie durch, die so typisch sind für The Concretes. Nicht umsonst heißt die neue Platte Hey Trouble. Mit dieser Musik kann man sich beherzt jedem Ärger stellen.

„Hey Trouble“ von The Concretes ist erschienen bei Finger Lickin‘ Records/Alive

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Verlieren ist nicht sexy

Tocotronic erzählen auf „Kapitulation“ vom Scheitern. Sie haben ihr Konzept ernst genommen und schnoddern eine Platte hin, die so langweilig ist, dass sie kaum jemanden vom Hocker reißen wird.

Wer über Musik schreibt, ist immer auch Fan. In manchen Fällen ist er Fan dessen, worüber er schreibt. Tocotronic lernte ich kennen, als ihr Album Digital Ist Besser 1995 in den Jahreslisten vieler Musikmagazine weit oben stand. „Welch ein Titel!“, dachte ich, „aber ich interessiere mich nicht für Techno.“ Später sah ich die CD im Laden. Mit diesem verwackelten Polaroid vorne drauf, das war mir klar, machen die niemals Technomusik. Zum Fan wurde ich erst, als ich mir die Platte sehr oft angehört hatte.

Es hat mir lange Zeit große Freude bereitet, Tocotronic bei ihren Abgrenzungsversuchen zu beobachten. Wie sie immer bemüht waren, Erwartungen nicht zu erfüllen. In Interviews hofft man auf druckreifes Schlagwortgeplapper, den Fragenden wird es meist verweigert. Rezensenten neigen zur Überinterpretation und finden auf ihrer philosophischen Spurensuche einen ganzen Haufen semantischer Querverweise in von Lowtzows Texten. Bei der letzten Platte Pure Vernunft Darf Niemals Siegen erkannten plötzlich alle den Einfluss Theodor W. Adornos. Diesmal erfreut man sich, begriffen zu haben, dass hinter den Stücken des Albums ein Konzept steht. Wahnsinn.

Dem Fan in mir fällt es schwer, die bereits verkündeten Superlative zum neuen Album von Tocotronic zu wiederholen. Kapitulation langweilt mich. Manchmal geht es mir sogar auf die Nerven, das gilt für die Musik und die Texte.

Das eigentlich Spannende an dieser Platte ist die Rezeption derer, die – mit exklusiven Vorabkopien ausgestattet – herunterbeten, wie originell das Konzept der Platte ist. Manche tun das auch ohne Vorab-Exemplar. Das Verhältnis zwischen schreibender Zunft und Band erscheint fetischistisch, teilweise masochistisch. Die Tocotronic’schen Vokabeln kapitulieren, verlieren und aufgeben werden immer wieder mit sexy, cool und lustvoll übersetzt. Ganz so, als warteten wir alle lange schon auf jemanden, der uns erklärt, warum das Verlieren eigentlich viel besser ist als das Gewinnen. Verlieren, der neue Trend?

Immer wieder denke ich beim Hören an Franz Beckenbauer. „Ja, ist denn heut‘ schon Weihnachten“ heißt bei Tocotronic „Kommt alle mit zu mir nach Hause“, „Schaumermal“ übersetzen sie mit „Mehr ist mehr“, „Du musst nie wieder in die Schule gehen“ ist die Verweigerungsversion von „Ja, bin ich schon drin?“ Das war Boris Becker. Aber ist das besser?

Über viele Textzeilen kann ich nur den Kopf schütteln. „Dein Schlecht ist mein Schlecht, dein Schlimm ist mein Schlimm, dein Schlimm ist mein ganz Schlimm“, „Es sind die Qualen, die mich quälen“, „Ja, ich habe heute nichts gemacht, ja, meine Arbeit ist vollbracht“. Schon immer produzierten Tocotronic solche Satzfetzen für den Smalltalk unter Akademikern. „Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein“ und „Gitarrenhändler, ich verachte euch“, das sind oft gehörte Textzeilen. Studentenparty, ick hör dir trapsen. „Und jetzt weiter im Text, neue Fehler warten, Steine liegen auf dem Weg, ich leg sie rüber in den Garten“. Das Versmaß stimmt, der Reim auch. Immerhin.

Musikalisch waren sie schon weiter. Kapitulation sei rauer geworden als die vorangegangenen Platten, heißt es. Und – natürlich – reifer, erwachsener, direkter, tätärätätä. In meinen Ohren klingt es einfallsloser als das letzte Album und als das vorletzte Album Tocotronic allemal. Beim Gitarrenlauf von Verschwör‘ Dich Gegen Dich muss ich sogar an Heinz Rudolf Kunze denken. So simple und platte Akkorde gab es bei Tocotronic noch nie zuvor.

Nun, das Meiste ist selbstverständlich besser als alles, was Herr Kunze je in ein Mikrofon spielte. Aber für Tocotronic ist das eben nicht gut genug. Oder halten sie ihr Konzept des Scheiterns einfach nur konsequent durch und rotzen eine Platte hin, die nie und nimmer irgendjemanden vom Hocker reißen wird? Und ich bin drauf reingefallen?

Diesmal haben Tocotronic meine Erwartung nicht erfüllt, geschieht mir ja recht. Aber: Ich freue mich für jeden, der das Album mag.

„Kapitulation“ von Tocotronic ist als CD erschienen bei Universal, als LP bei Buback

Thomas Groß mag die Platte. Hier lesen Sie seine Meinung »

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Kein Trara

Schlagzeug, Gitarre, Bass, mehr brauchen Shellac nicht, um auf „Excellent Italian Greyhound“ gehörig zu rumpeln.

Shellac Excellent Italian Greyhound

Platten von Shellac klingen, als wäre man im Proberaum dabei. Ihre neue Aufnahme, Excellent Italian Greyhound, mehr als jede zuvor. Ihre Musik ist nicht geschliffen, sie wirkt spontan. Am Anfang des ersten Stücks The End Of Radio fragt der Sänger, „Ist das Ding an? Könnt ihr mich hören?“, so als wäre er sich nicht ganz sicher, ob sie noch proben oder schon aufnehmen. Der Text klingt improvisiert, er wiederholt die Worte und „Test, Test, Test.“ Er grummelt, „I would like to thank the sponsor“. Pause, dann: „But… we haven’t got a sponsor.“

Der Bassist Bob Weston spielt dazu drei langsame, einfache Akkorde, Mal um Mal, achteinhalb Minuten lang. Sein Instrument ist verzerrt und nicht immer ganz im Takt. Der ist stellenweise aber auch schwer auszumachen, der Schlagzeuger Todd Trainer bricht immer wieder aus, setzt aus, drischt, wird schneller und wieder langsamer.

Steady As She Goes rumpelt und bollert, Be Prepared kracht und rumpelt, Boycott bollert und kracht. Alle Stücke klingen karg, wie ein Schlagzeug, eine Gitarre und ein Bass ohne großes Trara eben klingen. Elephant klingt noch karger als der Rest, da spielt minutenlang nur das Schlagzeug. Dann wieder tragen Albini und Weston im Dialog vor, schließlich singen sie eine richtig süße Melodie. Am Anfang staunt man über den aufgenommenen Klang, über die Homogenität der Platte. Bei wiederholtem Hören fällt einem auf, wie unterschiedlich und abwechslungsreich die einzelnen Stücke sind.

Die Band Shellac gibt es seit fünfzehn Jahren, Excellent Italian Greyhound ist ihr viertes Album. Ihr Gitarrist und Sänger ist der bekannte Produzent Steve Albini. An die 2000 Alben hat er bislang aufgenommen, so genau weiß das niemand. Nirvana hat er betreut, die Pixies, PJ Harvey, Mogwai, Fugazi, Joanna Newsom und viele andere bekannte und vollkommen unbekannte Bands. Albini ist der Meinung, jede Gruppe habe das Recht, aufgenommen zu werden.

Er nennt sich nicht producer, sondern recording engineer. In seinem Studio Electrical Audio in Chicago nimmt er so viel wie möglich live auf und verzichtet auf technische Tricks, wie sie heute üblich sind. Wer von ihm aufgenommen wird, muss spielen können und wissen, wie es klingen soll.

Wie sich Shellac nun anhören, fragen Sie? Diesem Text ein Hörbeispiel zur Seite zu stellen verbietet Mister Albini leider, auch Rezensionsexemplare gibt es von Shellac nicht. Aber man kann sich Shellac im Web 2.0 anschauen, bei YouTube zum Beispiel. Dort gibt es eine Mobiltelefonaufnahme von The End Of Radio vom Primavera-Festival des Jahres 2006. Albini improvisiert die Stelle mit dem Dank an den Sponsor auf dieser Aufnahme, er bittet Martina Navratilova, ihr Sponsor sein zu dürfen, „your name is fun to say, Martina Navratilova“. Beim ebenso auf YouTube einsehbaren Musikvideo zu Steady As She Goes laufen Bild und Ton nicht synchron, sie sind um genau einen Takt verschoben, dadurch fällt es kaum auf. Die drei Musiker stehen in einem kleinen Raum, es scheppert und rumpelt. Exakt so klingen Shellac auf Platte.

„Excellent Italian Greyhound“ von Shellac ist erschienen bei Touch & Go/Soulfood Music

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Für jene, die nie zum Jazz gehen

Bekannt wurden The Bad Plus mit einer Coverversion von "Smells Like Teen Spirit". Eine Jazzband, die Pop nachspielt, das war vielen verdächtig. Auf "Prog" tun sie es erneut, diesmal sind David Bowie und Burt Bacharach dran.

The Bad Plus Prog

Die Amazon-Konsumenten jammerten vor zwei Jahren über die CD Suspicious Activity? von The Bad Plus, dass diese Band mit jeder Platte schlechter werde. Sie erfüllte die Erwartung nicht, die beste, lauteste, radikale Alternative zum typischen Piano-Trio zu sein. Die neue CD von The Bad Plus verspricht nun Besserung: Prog.

Der Bassist Reid Anderson, der Schlagzeuger David King und der Pianist Ethan Iverson spielen seit 17 Jahren zusammen. Die drei Musiker wuchsen in Minnesota und Wisconsin auf, früh haben sie sich als Protestbewegung gegen den Mief ihrer Elternhäuser verstanden. Wer wie Ethan Iverson mit Glatze, Sonnenbrille und Krawatte auftritt, sei in einem kleinen Dorf per se ein Außenseiter, sagt David King über seinen Pianisten.

Die Aufregung um The Bad Plus begann im Jahr 2002 mit These Are The Vistas, ihrer ersten CD für die große Firma Columbia. Der schwarze Publizist Stanley Crouch verdächtigte damals die weißen New Yorker Jazz-Kritiker, mit ihrer Begeisterung für die weiße Band Rassismus zu praktizieren. Crouch sprach von einer Verschwörung gegen die schwarze Ästhetik. Schwarze Kritiker wie Willard Jenkins und John Murph mutmaßten, dass wohl nie einer von The Bad Plus erfahren hätte, wenn es die Verschwörung weißer Jazzkritiker nicht gäbe. The Bad Plus, behaupteten sie, sei deren Produkt.

Noch etwas anderes verschaffte der Band Aufmerksamkeit. Auf These Are The Vistas befand sich eine Coverversion von Nirvanas Smells Like Teen Spirit. Eine Jazzband spielt Popmusik nach? Das war vielen verdächtig. Auf Prog tun sie es erneut, sie interpretieren David Bowies Life On Mars und Everybody Wants To Rule The World von Tears for Fears neu. Und Burt Bacharach: This Guy's in Love With You.

Vielleicht sind sie auch bekannt, weil The Bad Plus Menschen ansprechen, die nie freiwillig zu einem Jazzkonzert gingen. So heißt es oft, ihr Jazz klinge kalkuliert, wie für ein Pop-Publikum. Zweifler überzeugen The Bad Plus am ehesten mit ihrem handwerklichen Können. Sie finden es ganz normal, mit Popthemen zu experimentieren. Warum sollten sie noch eine Platte mit den Melodien von George Gershwin und Cole Porter aufnehmen?

„Prog“ von The Bad Plus ist erschienen bei Do The Math Records/Heads Up/Emarcy

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Musik mit Umlaut

Das Elektronika-Label Pingipung lädt ein zur Mottoparty, eine illustre Musikerschar kommt nach Lüneburg und bringt Blechblasinstrumente mit – „Pingipung Blows: The Brass“.

Pingipung Blows

Musikalisch gesehen, ist der zweitgrößte deutsche Exportschlager (nach der Titelmelodie von Derrick) die elektronische Musik. Das scheint der Deutsche gut zu können. Nirgendwo auf der Welt wird sie so puristisch gespielt wie hier.

In weißen Räumen, in monotoner Weitläufigkeit kredenzen streng gescheitelte Teutonen menschenferne Maschinenmusik. Kalt und ohne Emotion. So wurden Kraftwerk zu Popstars und bis tief in die Gefilde der Klangkunst sollten ihnen viele folgen. Das ist das Klischee von elektronischer Musik made in Germany.

Dazu gibt es natürlich Alternativen. Nicht selten kommen sie aus Lüneburg, wo das Label Pingipung Beachtenswertes veröffentlicht. Pluckernd, fiepend oder erwärmend – nah am Menschen, dicht an den Ohren des Hörers entsteht kluge Musik. Die Präzision des Computers nutzen, sich aber auch auf die Wärme des akustischen Instruments verlassen, das scheinen die Grundlagen des Pingipungismus zu sein. Sie nennen es Ü-Musik, U plus E, na klar.

Pingipung Blows: The Brass ist eine Kompilation mit Konzept. Sie funktioniert wie eine Mottoparty. Elektronikmusiker aus ganz Europa wurden dazu eingeladen. Sie mussten ein Brass – also Blechblasinstrument – mitbringen. Statt Kartoffelsalat legten sie ein Stück Musik auf das Büffet.

Pingipung wagt es, klassische Instrumente mit Elektronik zu mischen. Da gibt es natürlich viele Ansätze. Wir hören Selbstgemachtes: Dub von Hey-O-Hansen, Getragenes von Mister Tingle. Mouse on Mars klingen, als würden sie ein Hamsterrad beschallen. Ihr Stück spurtet vorwärts und dreht sich zugleich um die eigene Achse. Der Kölner Avantgardist und Poet Harald Sack Ziegler kommt gar ohne Worte und sein Waldhorn aus. Im Hintergrund brabbelt und klappert ein Café. Er beschallt es nachträglich mit einer leiernden Trompete. Nahtlos knüpft Peter Presto an – man merkt kaum, dass ein neues Stück angefangen hat.

Das ist die große Stärke dieses Albums. Es ist liebevoll kompiliert, es wird ein musikalischer Bogen gespannt. Anderswo hätte man vielleicht nach Prominenz der Bands geordnet.

Meist ist die Blechbläserei Grundlage des Klangs, die Elektronik baut sich darum auf. Nicht immer gelingt dies. Wie bei Goto 80, dessen 8Bit-Musik scheppert wie ein alter Heimcomputer. Eine Trompete gesellt sich hinzu und es wird nicht klar warum, denn sie hat seinem Stück nichts hinzuzufügen. Jazzclub trifft Daddelhalle. Wie das durchdacht umgesetzt wird, zeigen Gangpol und Mit aus Bordeaux. Ihr Beitrag ist eine Wonne. Sie bedienen sich eines Kazoos. Selbst Laien können ihm schöne Klänge entlocken, da man hineinsingt. Es ist erstaunlich, wie viele Ideen sie in zwei Minuten unterkriegen, ohne dass der Sinn verloren geht. Zwischen dem filmischen Throw Snow On This Big Animal von Übertonmensch und der hektischen Improvisation Brass Impro von DJ Elephant Power und Niko Uské liegen Welten. In Lüneburg sind sie Nachbarn.

Richtig dreist ist Imagine des Briten Vanishing Breed. Er benutzt gar kein Blasinstrument, sondern erzählt dem Zuhörer, dass man sich verschiedene vorzustellen hätte. Nach eigenen Angaben hat er sogar Buntstifte für seinen Beitrag benutzt. Charmant umschifft er die einzige Bedingung der Kompilatoren und zeigt, worum es hier eigentlich geht: Originalität.

„Pingipung Blows: The Brass“ ist erschienen bei Pingipung Records und im Webshop des Labels erhältlich. Vor zwei Jahren erschien ebendort die ähnlich hörenswerte Kompilation „Pingipung Plays: The Piano“

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McGyver spielt den Löwenzahn

Obskure Instrumente und Effektgeräte, Jaro Salos Kochkünste und das finnische Radio haben geholfen: „Spare Time Machine“ von Pepe Deluxé klingt psychedelisch und richtig alt.

Pepe Deluxe Spare Time Machine

Jari Salo alias James Spektrum ist das Zentrum der Band Pepe Deluxé. Über die aktuelle Besetzung sagt er: „Ich bin so eine Art Regisseur, der die 20, 30 Musiker, die auf dem Album zu hören sind, leitet.“ Bislang stand der Name Pepe Deluxé für wilde Tanz- und Lounge-Orgien, die sich unzähliger Quellen und Samples bedienten. Im Fokus des neuen Albums Spare Time Machine stehen die späten Sechziger und der Psychedelic-Rock.

Viele der Psychedelic-Alben aus den sechziger Jahren klingen heute angestaubt. Das liegt wohl an der grobschlächtigen Technik damaliger Tage. Bandmaschinen und raumgroße Synthesizer beförderten nicht gerade das feinsinnige Arbeiten. All die durchgedrehten Effekte und seltsamen Instrumentenkombinationen, die auf diesen uralten Alben zu hören sind, werden von Pepe Deluxé nun verdichtet und in delirische Höhen transformiert.

Jari Salo liebt diese Ära und ihren Sound. Er benutzt das alte, analoge Equipment. Je obskurer, desto besser. Jari ist besonders stolz auf ein Sechs-Spur-Mischpult, gebaut vom finnischen Radio für die Olympischen Spiele in Helsinki im Jahr 1952. Das Unikat befindet sich seit Kurzem in seinem Besitz. Spare Time Machine nahm er auf Vier-Spur-Kassetten auf, es klingt authentisch nach den Sechzigern. Vier Jahre hat er an dem Album gearbeitet, immer mehr obskure Ausstattung herangekarrt, unterschiedliche Musiker zu Sessions eingeladen und sie bekocht. „Es gab Musiker, die sagten: Ich mag die Musik nicht, aber das Essen ist hervorragend“, erzählt er. Die in diesen Sessions entstandenen Aufnahmen hat er in liebevoller Kleinarbeit zusammengelötet.

Viele Bands vermählen alte Strukturen mit einem zu glatten Klang. Jari Salos Musik klingt alt, er lässt die Klänge und Effekte von damals auf eine neue Art kollidieren. Er lässt seine Musiker jammen wie Jimi Hendrix seine Experience, verwendet dann aber nur die Instrumentalteile, die er gesamplet hätte, gäbe es die Musik bereits auf Platte. All das richtungslose Geeiere experimenteller Pop-Platten, seitenfüllende Stücke, endlose Gitarrensoli, haben bei ihm keine Chance. Er nimmt nur die gelungenen Experimente.

Auf Pussy Cat Rock gibt es die fetten Tom-Toms der Girl-Group-Mini-Dramen, zischende Hi-Hats, wie wir sie von Garagen-Bands kennen, dazu eine psychedelisch bratzende Orgel und eine Fuzz-Gitarre, die sich ein Duell mit einer Surf-Gitarre liefert. Das klingt nicht überladen, weil Jari Salo die Elemente in den Dienst des Stücks stellt. „Am Ende des Tages hört man Platten nicht wegen der Effekte, sondern wegen der Songs“, sagt Jari. Apple Thief beginnt mit einer Spieldosen-Melodie, schwingt sich mit einem melodiösen Bass, Steel-Gitarre und Vintage-Synthesizer-Klängen zu einem veritablen Pop-Song auf. Dazwischen gibt es noch eine improvisiert wirkende Passage für Violine. Das heißt: Was wie eine Violine klingt, ist in Wirklichkeit ein beschleunigter Standbass. Der Irrsinn mündet in einem epischen Streicher-Arrangement von Markus Schneider. Der hat in einem früheren Leben Musik für C-64-Spiele komponiert. Spare Time Machine ist voller solcher Details. Viele Klänge haben eine andere Quelle, als man im ersten Moment glaubt.

Der verrückteste Sound in Jari Salos Ohren ist das Wah-Wah-mäßige Geräusch, das sein Gitarrist McGyver – „der heißt so, weil er alles spielen kann“ – in Captain Carter’s Fathoms einem Löwenzahn entlockt. „McGyver playing the dandelion. Natürlich habe ich diesen Sound noch durch einen Synthie gefiltert“, erzählt er. Natürlich.

„Spare Time Machine“ von Pepe Deluxé ist als LP und CD erschienen bei Catskills/Groove Attack

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Das Haupt wie Senkblei

Weinst du noch oder tanzt du schon? „An End Has A Start“ heißt das zweite Album der Editors. Darauf betten sie düstere Lyrik in diskotauglichen Rock.

Wie sieht wohl der Proberaum der Editors aus? Fast dunkel wird er sein, in einer Ecke stottert eine Neonröhre, Kälte ist an die Wände gefliest und wahrscheinlich regnet es rein. Ganz leicht. Tropf, Tropf. Anders ist die Gemütslage der vier jungen Musiker aus Birmingham kaum zu erklären.

Vor zwei Jahren war es, da erzählten sie aus dem Back Room – düstere Rockstücke, (sch)mollende Gitarren, Schicht für Schicht aufgetragen, ein Grummelbass, unruhiges Schlagzeug, und über all dem hallte der Bariton von Tom Smith, dass gar den ärgsten Frohnaturen das Haupt wie Senkblei wurde. Tod, Leben, sie liebt mich, sie liebt mich nicht, und alles von vorn.

Ihr neues Album beginnt dort, wo sich Leben und Sterben, Willkommen und Abschied treffen: vor dem Krankenhaus bei einer Zigarette. Uff. Smokers Outside The Hospital Doors heißt das erste Lied von An End Has A Start, zugleich die erste Single. Das Schlagzeug stapft los, ein Klavier setzt ein, eine zaghafte Ouvertüre bloß – und da ist er plötzlich wieder, dieser sterile Klang. Da fiept keine Rückkopplung, trieft kein brunftiges Rockgeschwitz. Die Musik ist simpel und schwarz lackiert. Sie ist klinisch rein. Wie ein Stationsflur.

Die Gitarren schrauben sich in klirrende Tonhöhen, der Bass bebt, ein Keyboard schleicht sich heran. Manchmal ist sogar Dur dabei. „Say goodbye to everyone you have ever known, you are not gonna see them ever again”, singt Tom Smith zu Beginn. Das ist natürlich Kitsch. Häufig wird es pathetisch: “Lift the weight of the world from my shoulders again”, heißt es in The Weight Of The World. Peinlich klingt es nie. Die Editors jammern nicht. Nüchtern tragen sie ihre Düsternis vor. Allenthalben durchaus diskotauglich, wie im Titelstück der Platte oder in Bones. Ein Offbeat-Schlagzeug treibt sie an, flott schwirren die Melodien. Weinst du noch oder tanzt du schon? In solchen Momenten weicht die dräuende Stimmung aus der Musik.

Doch es fällt schwer, die zehn Stücke nacheinander zu hören. Die Hälfte sind Balladen. Dann liegt ein schwerer Samtvorhang auf Tom Smiths Stimme, der kaum Licht durchlässt. Nur dann und wann mal ein kleiner Schimmer Hoffnung, höchstens purpurrot. Am Ende versinkt das Album in ewiger Finsternis. Well Worn Hand, dem Wehklagen eines Verlassenen. „I don’t want to go out on my own anymore / I cant face the night like I used to before / I’m so sorry for the things that they’ve done / I’m so sorry about what we’ve all become.” So entlassen sie den Hörer in den kommenden Sommer. Herrlich.

„An End Has A Start“ von den Editors ist als LP und CD erschienen bei PIAS/Rough Trade

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Im Zeichen der Wurfaxt

Der Sänger Mike Patton trägt jetzt Federschmuck. Er spielt mit der Band Tomahawk Indianerlieder nach. Spinnt der denn?

Tomahawk Anonymous

Es fällt schwer, einen Text über eine Platte Mike Pattons zu schreiben. Zu nah liegt die Versuchung, sich an seiner Vielseitigkeit und seinen Ideen zu ergötzen. Mit Mr. Bungle veröffentlichte er seit den Achtzigern kauzige Rockmusik – die ersten Jahre auf Kassetten, die heute teure Sammlerstücke sind. Die Liste seiner Kooperationen ist lang. Er arbeitete mit den Melvins und dem Komponisten John Zorn, er nahm Björks Album Medúlla auf. Zehn Jahre lang sang er bei Faith No More, danach spielte er bei Fantômas.

In welche musikalischen Gefilde es Mike Patton auch verschlägt: Er überrascht den Hörer! Mit der Band Fantômas interpretierte er auf Director’s Cut Filmmelodien von Nino Rota, Henry Mancini, Ennio Morricone und Angelo Badalamenti in flirrendem Drama-Rock. Ihr letztes Album Delìrium Còrdia bestand aus einem Stück, siebzig Minuten lang. Als Peeping Tom sang er im vergangenen Jahr ungewöhnliche Duette mit Massive Attack, Bebel Gilberto, Norah Jones und anderen. Er orientiert sich nicht am Zeitgeist, seine Projekte sind einzigartig. Nie macht er eine Masche daraus.

Jetzt kommt er mit Tomahawk. Anonymous ist das dritte Album im Zeichen der Wurfaxt, und es besteht aus Coverversionen. So weit, so normal? Von wegen. Tomahawk spielen Lieder der indianischen Ureinwohner Amerikas, dreizehn traditionelle Gesänge anonymer Autoren aus dem späten 19. Jahrhundert.

Wer kommt denn auf so eine Idee? Es ist leicht, solch ein schräges Unternehmen dem spinnerten Hirn Mike Pattons zuzuschreiben. Tomahawk ist im Gegensatz zu vielen seiner Projekte eine Band mit ihm, es ist nicht seine Band. Die Musik zu Anonymous spielte der Gitarrist und Bandgründer Duane Denison mit dem Schlagzeuger John Stanier in Nashville ein, Pattons Gesang kam später aus San Francisco.

Tomahawk machen nicht den Fehler, die Originale in derbe Rocknummern zu verwandeln. Sie bleiben nah an der Stimmung der rituellen Gesänge. Nur ab und an drängen die Gitarren oder Pattons schneidende Stimme in den Vordergrund. Dann werden die Stücke noch eindringlicher und düsterer.

Patton grummelt und jault. Es braucht meist keine verständlichen Worte, diese Musik lebt von einer starken Atmosphäre. Der War Song rührt tief, gleich zu Beginn des Albums. Eine Gewitterstimmung baut sich auf, die Gitarren und Bässe schrammeln auf einer einzigen Harmonie, Patton raunt tiefe Laute. Man kann sich gut vorstellen, wie Indianer sich auf den Krieg vorbereiten, ihre Pfeile schärfen und ihre Gesichter bemalen. Oder wie sie zum Ghost Dance um ein Feuer tanzen, um die bösen Geister zu vertreiben.

Sprunghafte Melodien kommen hinzu. Mescal Rite 1 beginnt mit Gebrummel von Gitarre und Basstrommel in einem undefinierbaren Takt. Wenn Mike Patton einsetzt, begleiten die Instrumente seine Stimme durch Berg und Tal, Nonen und Septimen, er singt etwas wie „Hunaheo-Hunanananaheao“. Ein Chor betont die Trommelschläge mit einem tiefen „Hunn!“. Am Ende quietscht eine Fidel ihr rostiges Lied, die Tänzer gleiten in einen unruhigen Schlaf.

Man kann viel hineinhören in die Lieder. Die meisten tragen die Worte „Tanz“, „Ritus“ oder „Zeremonie“ im Titel. Da liegen die Assoziationen nahe. Red Fox könnte einer Naturbeobachtung entspringen, die List eines Fuchses vertonen. Patton singt mit hoher, gepresster Stimme, im Hintergrund trappeln zarte Pfoten. Zur Antelope Ceremony werden die Messer gewetzt. Der Song Of Victory ist das Gegenstück zum War Song, Anspannung löst sich, es wird ausgelassen gefeiert.

In drei, vier Stücken singt Patton englisch, manchmal mischt er es mit indianischer Lautmalerei und Phantasiesprache. Der Cradle Song ist ein unbehagliches Schlaflied, furchterregend ploppt ein Bass, dazu singt Patton von gestohlenen Träumen und fliegenden Feuern. Wie soll man dazu einschlafen?

Zum ruhigen Long, Long Weary Day ziehen sich die Tänzer und Krieger in ihre Tipis zurück. Der Morgen graut, die Asche glüht langsam aus.

„Anonymous“ von den Tomahawk ist erschienen bei Ipecac

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