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Kleiderbürste, kling!

So nah kam F.S. Blumm aus Bremen dem Pop noch nie: Auf „Everybody Loves“ verbindet der Gesang der Schwedin Bobby Baby seine lockeren Gitarrenmuster zu richtigen Liedern.

Everybody Loves Bobby And Blumm

Es gibt Platten, über die möchte man schreiben – aber es ist schon alles geschrieben. Die Musizierenden kleben auf den Magazintiteln, und von Brigitte bis Bravo, von FAZ bis taz tönt einhellige Begeisterung. Meist bleibt rätselhaft, was an dem jeweiligen Popentwurf so besonders sein soll. Eine Behauptung scheint den Schreibern schon als Argument zu reichen. Da kann, da mag man oft nicht mithalten und schweigt.

Es gibt andere Platten, über die schreiben nur Wenige. Die lassen sich nicht als Popsensationen abfeiern, weil die mediale Aufmerksamkeit zu gering ist. Eine Sensation lässt sich schließlich nur ausrufen, wenn (fast) alle einstimmen. Dennoch gleichen sich auch die Abhandlungen über solch unbeachtete Platten. Dominieren im ersten Fall die vermeintlich kräftigen Substantive – Revolution, Sensation, Wunderwerk – so stürzen im zweiten Fall nicht selten Geröllberge von Adjektiven und Spezialwissen auf den Leser ein und nehmen ihm die Lust aufs Hören.

Frank Schültge aus Bremen … weniger sensationell kann ein Satz wohl nicht beginnen. Frank Schültge aus Bremen also streut seit zehn Jahren in kurzen, regelmäßigen Abständen wenig beachtete Töne in die Welt. Meist nennt er sich F.S. Blumm, mit anderen Musikern zusammen auch Kinn. Seine Aufnahmen klingen elektronisch, dabei entstehen sie zumeist akustisch. Diverse Plattenfirmen – viele von ihnen so bescheiden, dass sie sich selbst nie Firma nennen würden – bringen seine Alben und Singles heraus. Manches Magazin schenkt ihm Aufmerksamkeit, die meisten Berichte ergötzen sich an der Schönheit seiner instrumentalen Lieder.

Schön ist seine Musik, oder nicht? Was heißt eigentlich schön? Blumm malt ja keine Bilder*, die man sich an die Wand hängt, die man betrachtet und die aus ihrer Kunstfertigkeit heraus Wohlempfinden spenden. Musik findet man schön, wie man Menschen nett findet. Schöne Musik läuft nebenher und stört niemanden. Blumm musiziert detailreich und behutsam. Seine Musik ist nicht schön, sie braucht Aufmerksamkeit.

In letzter Zeit musiziert er gern mit anderen. Eine Platte nahm er mit dem Trompeter Luca Fadda auf, ein Minialbum mit der Französin Anne Laplantine. Seine Zusammenarbeit mit der Schwedin Bobby Baby alias Ellinor Blixt dokumentiert nun das Album Everybody Loves, erschienen unter dem Namen Bobby & Blumm.

So nah wie hier kam er dem Pop noch nie. Ellinor Blixt besingt die Lieder mit ruhiger Stimme, manchmal singt er ein paar Zeilen mit. Ihre Linien verbinden Blumms lockere Muster zu richtigen Liedern. Meist spielt er Gitarre, mal ein Xylophon und eine Orgel. Viele Geräusche kann man gar nicht zuordnen, dabei hört man immer nur sehr wenige auf einmal. Oft ist einfach nur Stille. Da sei »das Knacksen von Schellack-Platten, das Streicheln von Kleiderbürsten, von Fingerspitzen auf Pergamentpapier, klappernde Kleiderbügel im Nachtzug nach Krakau«, teilt der Pressetext mit. Man muss wirklich ganz genau hinhören.

»Ruhig« und »still« wird diese Musik genannt. Dabei brodelt es unter der sparsam instrumentierten Oberfläche gehörig. Die Lieder stecken voller Wendungen und Brüche. Und, kann Musik überhaupt still sein? »Fragil« und »skizzenhaft« sei sie, als wüssten Bobby & Blumm nicht so genau, wo das alles hinführen solle, als klängen ihre Lieder unfertig – als hätten die beiden sich womöglich keine rechte Mühe gegeben. Dabei ist den Kompositionen wahrlich nichts hinzuzufügen, sind sie gerade so komplex, wie sie eben sein müssen.

Beim letztjährigen Fusion-Festival trat F.S. Blumm in einem riesigen Iglu auf. Kaum erhöht saß er allein in der Mitte des Raumes, mit einer Gitarre, einem Kamm, einer Spieluhr und einem winzigen Effektgerät. Das Effektgerät fütterte er mit Klacken und Bimmeln, es machte einen Rhythmus draus. Über diesem zupfte er dann seine Gitarre. Nach einer Stunde wollten die Menschen mehr hören, erst wiederholte er ein Lied, dann erklärte er, wie das mit dem Effektgerät und den Geräuschen funktioniere. Klang alles ganz einfach.

* Zugegeben, F.S. Blumm malt doch Bilder, genauer: er zeichnet. An die Wand hängen sich seine Werke wohl wenige, und schön kann man sie auch nicht nennen. Aber sehen Sie selbst »

„Everybody Loves“ von Bobby & Blumm ist als CD und LP bei Morr Music erschienen.

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Aprilscherz auf dünnem Eis

„Narrow Stairs“ heißt das neue Album von Death Cab For Cutie. Im Internet hatte es schon vor der Veröffentlichung für große Verwirrung gesorgt.

Death Cab For Cutie Narrow Stairs

Vor ein paar Monaten verschickte Neil Young seine Single Ordinary People an amerikanische Radiostationen. Das Stück dauert knappe zwanzig Minuten, so etwas hört man im Rundfunk selten. Er wisse das, sagte Neil Young, seine Stücke liefen aber auch dann nicht im Radio, wenn sie nur die üblichen dreieinhalb Minuten dauerten. So habe er eben sein Lieblingsstück genommen.

Was mag die amerikanische Band Death Cab For Cutie geritten haben, als sie es ihm nachtat und das achteinhalbminütige I Will Possess Your Heart als erste Single ihres neuen Albums veröffentlichte. Bei den amerikanischen College-Sendern sind sie seit einigen Jahren beliebt, aber wer sollte nun so etwas spielen? Behäbig wankt ein markantes Bassmuster zwischen Porcupine Tree und Pink Floyd entlang, erst gegen Ende setzt die Stimme ein, den charmanten Refrain singt sie in der ganzen Zeit nur einmal, kurz vor Schluss. (Von einem Re-frain kann also eigentlich keine Rede sein.)

In der Strophe hängt die Stimme dem Bass hinterher, als sei es ein Kanon. I Will Possess Your Heart wiegt schwer. Wer die Band vor drei Jahren mit ihren kleinen Erfolgen Soul Meets Body und I Will Follow You Into The Dark kennenlernte, wird griffige Poplieder suchen und die leichten Melodien vermissen. Sind Death Cab For Cutie zu Prog-Rockern geworden? Würde so auch das neue Album Narrow Stairs klingen?

Im April – acht Wochen vor Veröffentlichung – gelangte es dann auf die Tauschbörsen im Internet. Erste Rezensionen erschienen in Musik-Blogs, die Stimme des Sängers sei zarter als zuvor, die Lieder alle sehr ruhig, hieß es. Es sei erstaunlich viel elektronisches Schlagwerk zu vernehmen, die Melodien überwiegend schwach. Narrow Stairs klang anders als die Single, das war gut. Aber so weichgespült und öde wollte es nun auch kaum einer haben. Viele Kommentatoren zeigten sich enttäuscht, dass Narrow Stairs nicht an die Wärme und Musikalität des letzten Albums Plans anknüpfe, wenige feierten es überschwänglich als einen Schritt nach vorne, ihnen schien die Stimme Benjamin Gibbards Kontinuität genug zu sein.

Nur: diese Stimme gehörte gar nicht Gibbard. Ein Spaßvogel hatte das letzte Album der deutschen Band Velveteen umbenannt, die damals schon bekannte Single daruntergemischt und das Ganze den gierigen Runterladern zum Fraß vorgeworfen als studiofrische Platte der Amerikaner. Der Aprilscherz funktionierte mehrere Wochen lang. Die Stimmen der Sänger ähneln sich, doch wer genau hinhörte, ahnte den Schwindel.

Wer sich nun doppelt verwirren ließ, erst von der Single, dann von Velveteen, den wird das wirkliche Narrow Stairs wiederum verwundern. Denn Death Cab For Cutie klingen weder weichgespült, noch sind sie plötzlich melodieschwach auf der Brust, auch der ausufernde Prog-Rock spielt ansonsten keine Rolle. Zum Glück ist die Band klug genug, gar nicht erst zu versuchen, das erfolgreiche Plans aus dem Jahr 2005 zu wiederholen. Nein, sie gewinnen ihren Klang zurück. Damals waren sie von der kleinen Plattenfirma zur großen gewechselt, das hatte ihre Musik verändert. Die Glätte von Plans umschmeichelte die Hörer, es verhalf der Band vor allem in den USA zu einem großen Publikum. Doch für die Musiker war es ein Irrweg. Oder eine Sackgasse. Mit Narrow Stairs wenden sie, schlendern zurück zur letzten Kreuzung und folgen dem Weg, den sie mit ihren ersten vier Alben beschritten hatten.

Die meisten der zehn Stücke neben I Will Possess Your Heart sind flott und kurz. Cath …, Long Division und No Sunlight leben von scheppernden Gitarren, drängendem Bass und rumpeligem Schlagwerk, kaum eines der Stücke ist länger als vier Minuten. Das ist Rockmusik zum Lieben: große Melodien, laute Instrumente, wenig Schauspiel, kein Schweiß.

Im Mittelteil der Platte wechselt die Band auch mal das Tempo. Talking Bird ist ruhig und langweilig, Grapevine Fires ist ruhig und gar nicht langweilig. Im beschwingten You Can Do Better Than Me winkt Scott Walker um die Ecke. Bevor es pathetisch wird, ziehen Death Cab For Cutie die Notbremse – nach kaum anderthalb Minuten Orgelfreuden im Dreivierteltakt.

Gleich, ob die Instrumente beschwingt klingen oder nicht, Benjamin Gibbard singt düsteres Zeug. In No Sunlight – man ahnt es schon, wenn man den Titel liest – heißt es: „With every year that came to pass more clouds appeared, till the sky went black and there was no sunlight anymore. And it disappeared at the same speed as the idealistic things I believed when the optimist died inside of me.“ Früher war nicht alles besser, aber es sah besser aus. Man veränderte sich ständig und könne nichts dagegen tun, dass das Eis unter den Füßen dünner würde, singt er zu molligen Akkorden. Dann stimmt die Gitarre zwei, drei fröhlichere Akkorde, und an Gibbard singt vom Frühling. Keine gute Jahreszeit für Eisschollen. Hier, ganz am Ende der Platte wird es musikalisch beschaulich, The Ice Is Getting Thinner beschließt Narrow Stairs. Schon bei Led Zeppelin war das letzte Stück einer Platte das ruhigste. Das ist nicht die schlechteste Referenz.

„Narrow Stairs“ von Death Cab For Cutie ist als CD bei Atlantic/Warner Music erschienen, im September soll das Album als LP bei Barsuk veröffentlicht werden.

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Ins Absurde erhoben

Bislang wurden The Notwist von Album zu Album besser. Mit ihrer sechsten Platte „The Devil, You + Me“ reißt die Serie ab, die Feuilletons loben sie trotzdem.

Notwist, Devil You And Me

Über The Notwist möchte man wohlwollend schreiben. Und wie einfach ließe sich in die Elogen einstimmen, zu denen die Feuilletons in den vergangenen Wochen anhoben, ließe sich wortreich beschreiben, wie überaus glaubwürdig und integer sich die Band im korrupten Musikgeschäft bewegt, ließe sich ausführen, wie die oberbayerische Gruppe seit Mitte der Neunziger ein überzeugendes Werk nach dem anderen ersinnt, sich ein ums andere Mal neu erfindet, und ließe sich schließlich schlussfolgern, auch die neue Platte The Devil, You + Me müsse ein Meisterwerk sein.

Allein, so wahr alles vorher Gesagte sein mag, ein Meisterwerk ist The Devil, You + Me leider nicht.

Bisher schien jede Notwist-Platte der letzte Schluss dessen zu sein, was derzeit im eigenen Tonuniversum möglich war. Mehr noch, zumindest eine Weile lang klang jedes Album seit 12 wie das Großartigste, was Musiker auf Instrumenten anstellen können. Mit einigen Jahren Abstand veränderten die Platten ihren Charakter, erwiesen sich doch nur als sinnvolle Fortschreibung des vorherigen Albums. Nicht weniger gut, aber viel weniger endgültig. Was folgte, drängte die Grenzen des Universums jedes Mal noch ein bisschen weiter zurück.

Anfang der Neunziger nahmen The Notwist zwei beinharte Rockplatten auf. Hört man The Notwist und Nook heute, so erahnt man Vieles von dem, was längst als typisch gilt. Zwischen Bergmassiven aus Gitarre und dem Gewitter der Basstrommel schweben schon diese gepressten Melodien, diese ungewöhnlichen Harmonien, diese sanfte Stimme. Freilich war damals nicht zu erahnen, wohin die Reise gehen sollte. Die Punk-Bands Bad Religion und Therapy? nahmen The Notwist mit auf Tour.

Überhaupt, Markus Achers Stimme. Akrobatisch ist sie nicht, allenfalls schafft sie kleine Bodenturnereien. Hier ein beschaulicher Hüpfer, dort eine elegante Rolle. Achers Stimme ist das Imperfekte im Orchester der Perfektion. Wo sonst jeder Klick sitzt und jeder Streicher um die Hierarchien weiß, ist sie der Puls, das Organische. Das hat sich bis heute nicht geändert. Das Orchester wurde über die Jahre immer präziser, sein Englisch nicht. Wozu auch.

Jeder musikalische Schritt der Band erschien letztlich logisch: Mitte der Neunziger veröffentlichten sie 12, erstmals steuerte Martin Gretschmann alias Console elektronische Klänge bei. Sie umschwirrten die Gitarrenmonumente, vermochten ihre Oberfläche aber kaum anzukratzen. Gretschmann wurde festes Mitglied der Gruppe. Auf Shrink im Jahr 1998 klangen die Gitarren weniger massiv, die Elektronik trat in den Vordergrund. Post-Rock wurde die Musik der Band genannt, vielleicht weil die Rockergeste nie ihre war – der Eklektizismus um so mehr. Solch eine Mischung aus Gitarren und Elektronik war damals unerhört. Shrink brachte den Durchbruch, Day 7 und Chemicals waren kleine Erfolge. The Notwist fuhren nun mit den Orgeldudlern von Stereolab auf Tour.

Seit Shrink wurden die Pausen zwischen den Alben lang, ebenso die Veröffentlichungsliste assoziierter Projekte – Console, Lali Puna, Tied + Tickled Trio, MS John Soda und einige mehr. Erst im Jahr 2002 erschien Neon Golden, eine wahrhaft umwerfende Platte. Aus Post-Rock war nun Diskurs-Pop geworden, Musik, die in immer neue Kontexte einsortiert wurde, über die man nie genug wusste, und die am Ende bis ins Absurde überhöht wurde. Jörg Adolphs Dokumentarfilm über die Entstehung der Platte, On/Off The Record, führte das vor Augen. Man sieht: Die Journalisten stellen anbiedernd umständliche Fragen, die Musiker schauen und schweigen. Ganz so als verstünden sie gar nicht, weshalb man über Musik noch reden müsse. Mit den zehn Stücken auf Neon Golden war doch alles gesagt.

Wie macht man eine neue Platte, wenn alles gesagt ist? Wenn die Erwartungshaltung in den Himmel gewachsen ist? Geht man weiter vorwärts? Mal wieder rückwärts? Oder macht man einfach Neon Golden, Teil 2? The Notwist wussten es offenbar auch nicht so genau. So ist The Devil, You + Me von allem ein bisschen. Die leicht rumpeligen Stücke Good Lies und Alphabet erweisen Shrink die Referenz, Gravity wiederum hätte gut zu Neon Golden gepasst.

Das Vorwärts jedoch wird zum Problem. Denn das ins Studio geladene zwanzigköpfige Orchester vermag der Unternehmung keine Spannung zu verleihen. Im Gegenteil, die recht spärlich eingestreuten Filmmusikklänge sind fast alle überflüssig. Sie versenken die feine Elektronika der Single Where In This World im Kleister. Die Streicher in Hands On Us erinnern an die Tindersticks – die wissen schon, weshalb auf ihren Platten weder Schlagzeugcomputer noch Elektronikrauschen zu hören sind. Hier nun kippt die Düsternis ins Melodramatische.

Es vergeht eine halbe Ewigkeit, bis das Genie der Band endlich aufblitzt. Stück Nummer 6, Gravity, lebt von dem Gegensatz zwischen dem flirrend vertrackten Schlagzeug und den ruhig vorgetragenen Worten – und dem, woran es den meisten anderen Stücken fehlt: einer brillanten Melodie. Hier bringt die Band es klanglich auf den Punkt, hier bekommt sie – welch passenden Titel trägt das Stück – die Füße an den Boden. Danach heben The Notwist wieder ab und landen erst bei Boneless wieder. Da ist das Album beinahe vorbei. „Old gravity won’t get me“, singt Acher einmal, das klingt programmatisch.

Diese Träne muss hier nun vergossen werden: Neon Golden hörte man immer wieder etwas Neues an, die Lieder übten eine Anziehungskraft aus. Monatelang fesselte das Album den Hörer. The Devil, You + Me ist im Vergleich dazu kraftlos. Auch beim dreißigsten Durchlauf noch klingen viele Melodien flach, dümpeln Lieder wie Sleep und Hands On Us ziellos vor sich hin.

Nun: Wie macht man also eine neue Platte, wenn alles gesagt ist? The Devil, You + Me klingt, als wüssten auch The Notwist keine Antwort.

„The Devil, You + Me“ von The Notwist ist als CD und LP erschienen bei City Slang.

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Ein Liter Schwarzer Atlantik

Seit 25 Jahren rappen britische MCs über karibische Rhythmen. „An England Story“ resümiert die vom Kolonialismus geprägte Geschichte des HipHop im Vereinigten Königreich.

Soul Jazz England Story

Die Menschen bei Soul Jazz Records müssen riesige Ohren haben. Im Londoner Viertel Soho sitzen sie vor Plattenspielern und hören sich täglich durch hohe Stapel verkratzter Vinylscheiben, gefunden in Kellern, billig erstanden auf Flohmärkten, für viel Geld beim Sammler gekauft. Welche Namen man der Musik gegeben hat, ist ihnen gleich, ebenso, auf welchem Kontinent und in welchem Jahrzehnt sie aufgenommen wurde. Die Menschen bei Soul Jazz Records in Soho hören einfach alles.

Sie tun das nicht für sich, sie wollen Geschichten erzählen, Geschichte erzählen. Immer wenn sie zehn, zwanzig tolle Stücke in einer Schublade gesammelt haben, bringen sie eine Platte raus und verkaufen sie zu einem guten Preis. In ihrem Plattenladen Sounds Of The Universe in der Broadwick Street und bei Honest Jon’s in der Portobello Road kosten die CDs und Doppel-LPs rund zehn Pfund, so günstig bekommt man sie in Deutschland nicht.

Freilich, die Kompilationen von Soul Jazz Records sind sehr speziell. Ganze Serien entstehen, die sich mit winzigen Bereichen der populären Musik auseinandersetzen. Mehrere Alben führten in den New York Noise der Jahre 1977 bis 1984 ein. Funk ist nicht gleich Funk, sondern Philadelphia Funk, New Orleans Funk oder Jamaica Funk. Und so ist das bei jedem Genre: Ort und Zeit spielen eine große Rolle. Doch das Spezielle dient hier nicht der Abgrenzung, sondern der Verbreitung von Wissen über Musik und der Vermittlung eines Gefühls für die Geschichte der Musik. Diese Alben wollen sie erzählen, deshalb sind in den Hüllen kluge Texte über die Hintergründe der Aufnahmen abgedruckt. Man erfährt etwas über das Genre, über die Künstler und die Lieder.

Seit beinahe zwanzig Jahren verfolgen die Menschen bei Soul Jazz Records ihre Mission, rund 180 Zusammenstellungen sind in dieser Zeit entstanden. Anfangs waren darauf vor allem Reggae und Ska, Soul, Funk und Jazz zu hören, mittlerweile widmen sie sich auch dem Post-Punk und dem Disco, dem HipHop und dem Gospel, afro-kubanischen Klängen oder der brasilianischen Tropicália. Kürzlich erschienen sechs LPs mit aktuellem Dubstep.

An England Story nennt sich das neue Werk, The Culture Of The MC In The UK 1984 – 2008 ist sein Untertitel. Es geht um den Master of Ceremonies – denjenigen also, der wortgewaltiges Geplapper zu Rhythmen und Klangschnipseln vorträgt. Es geht um britischen HipHop. Fälschlicherweise, so wird in der Hülle erläutert, werde dieser häufig als Form des in Amerika beheimateten Rap betrachtet. Dabei habe der jamaikanische Reggae einen wesentlich stärkeren Einfluss gehabt. Schwarze Musik in Großbritannien habe sich anders entwickelt als die in Amerika oder Afrika, vor allem wegen der ehemals kolonialen Beziehung des Königreichs in die Karibik.

In Anlehnung an die Theorie des Black Atlantic, im Jahr 1992 von dem Kulturwissenschaftler Paul Gilroy ersonnen, geht es auf An England Story nicht darum, die Lieder der Unterdrückten wieder zu singen, die Lieder von Jamaikanern in England. Stattdessen wird die Untrennbarkeit kultureller Einflüsse vor Ohren geführt. Gilroy fand das Bild des Schwarzen Atlantik um die durch Sklaverei und Kolonialisation beeinflusste kulturelle Produktion zu beschreiben. Sklaven und Kolonialherren befuhren den Atlantik mit ihren Schiffen in die eine Richtung, Rückkehrer, Intellektuelle und andere karibische Emigranten in die andere. Der in England praktizierte HipHop ist folglich keine berechenbare Mischung aus britischer und jamaikanischer Kultur, er ist ein Produkt der untrennbar verwobenen und sich fortsetzenden Geschichten Großbritanniens und der Karibik. An England Story – ein Liter Wasser aus dem Black Atlantic.

In den Siebzigern tönten in England überall jamaikanische Soundsystems, in den frühen Achtzigern begannen MCs, den Reggae zu Bereimen. MCs wie Papa Levi und Jah Screechy erzählten in flotter Mundart von ihrem Alltag als Fremde im eigenen Land. Ihre Bässe saßen tief, sie hatten wenig gemein mit den scheppernden Rhythmen aus der New Yorker Bronx. Und was dort rappen hieß, wurde in England meist MCing genannt. Das Genre wurde vielgestaltiger, die Rhythmen komplexer, mal schneller, dann wieder langsamer. Jamaica wurde zum Stil. MCs gaben sich karibische Fantasienamen und kopierten den Zungenschlag der Soundsystems.

Etliche Spielarten des britischen HipHop sind auf An England Story zu hören, hier das luftige Complain Neighbour von Tippa Irie, dort der hektisch flirrende Bass von Jakes & TCs Deep, hier das schwerfällige So You Want More von Ty & Roots Manuva, dort Suncycles soulig treibendes Somebody. Das Album erzählt kurzweilig und kenntnisreich die fünfundzwanzigjährige Geschichte des britischen HipHop. Große Namen sind für diese Geschichte nicht so wichtig, hier geht es um die Meilensteine der Entwicklung des Sprechgesangs, von Dancehall über Jungle und Garage hin zu Grime und Dubstep.

Dies alles auf vermeintliche kulturelle Wurzeln zurückführen ist sinnlos, auch das lehrt diese Zusammenstellung. Nicht einmal auf den fremden Klang der Namen Roots Manuva und Tippa Irie kann man sich verlassen: Bürgerlich heißen sie Rodney Smith und Anthony Henry.

„An England Story“ ist auf Doppel-CD sowie zwei Doppel-LPs bei Soul Jazz Records/Indigo erschienen.

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Gleich ist Nacht

„Harriet“ heißt die zweite Platte der Berliner Band Taunus. Sie klingt wie die Abenddämmerung eines warmen Tages in der Stadt – und ist viel zu kurz.

Taunus Harriet

Milde erfüllt den Frühsommerabend. Der Landwehrkanal fließt in Zeitlupe Richtung Spree, an beiden Ufern sitzen Menschen unter den Bäumen und saugen die letzten Sonnenstrahlen auf, die ersten durch und durch wärmenden des Jahres. Eben verschwindet die Glut hinter den hohen Altbauten, da treten zwei Musiker auf eine schmale Brücke und spielen den Menschen noch ein paar Lieder zur Nacht.

Zu Anfang fummeln sie kaum hörbar an den Wirbeln ihrer Akustikgitarren herum, als wollten sie ja niemanden stören. Das leise Säuseln der Gespräche nimmt ab, bald verstummt es ganz. Die beiden Musiker greifen nun beherzter zu, zupfen an den Saiten, schicken ein Summen über das träge Wasser. Die Instrumente brummen, als hätten sie den Tag über in der Sonne gelegen. Nun geben sie die Wärme ab und halten die Kühle der Nacht noch ein bisschen fern. Aus dem nahe gelegenen Kaffee mischt sich das Klirren abgeräumter Gläser in die Musik, das klingt freudig.

Beim dritten oder vierten Stück tritt jemand zu den beiden auf die Brücke und seufzt in eine Klarinette, eine einfache Melodie. Auf einem nahen Balkon steht ein anderer, der spielt sie auf dem Vibraphon nach, beinahe erklingt ein Kanon. Zwei muskulöse Männer unterbrechen ihren Umzug und lassen ein altes Klavier am Ufer nieder. Einer der beiden klimpert eine Melodie. Das gute Stück ist völlig verstimmt, die tiefen Töne klingen stumpf, als lägen im Rumpf Stapel lang vergessener Liebesbriefe. Später tritt einer mit Cello hinzu und einer mit Banjo. Ständig passiert etwas, nur nichts Dramatisches. Alles wirkt und klingt, als gehöre es genau so und nicht anders.

Die Dunkelheit hat beinahe alles verschluckt. Die beiden zupfen nun energisch gegen die Nacht an, einer stampft den Rhythmus auf den Boden. Ein Schwarm Enten jagt erschreckt in die Luft. Das dumpfe Flirren ihrer Flügel Schläge und ihr mitteilsames Geschnatter tragen das Lied an ein unerwartetes Ende. Die beiden Musiker spielen immer leiser, verstummen schließlich und für ein, zwei Minuten musiziert das vielstimmige Entenorchester. Man möchte den Tieren ihren passenden Einsatz danken, manch einer lacht in die Stille.

Als sie sich schließlich beruhigt haben, spielt die Band noch ein letztes Stück. Mit dem Verklingen des letzten Tons schickt die Sonne den letzten Strahl des Tages. Dreiunddreißig Minuten lang war Licht, obwohl die Sonne längst untergegangen war. Dreiunddreißig Minuten lang war die Wärme dieses ersten Frühsommertages noch einmal zu hören.

So etwas gibt es nur in Berlin? Nein, nicht einmal dort. Die beiden Musiker heißen Jan Thoben und Jochen Briese, ihre Band nennen sie Taunus. Auf die erdachte Brücke traten nach und nach Wilm Thoben, Michael Thieke, Derek Shirley und F.S. Blumm. Harriet heißt die zweite Platte von Taunus. Sie klingt wie die dreiunddreißig Minuten zwischen Tag und Nacht, zwischen Sonnenuntergang und Dunkelheit am Ende eines warmen Tages in der großen Stadt. Sie wärmt und stimmt uns gelassen – und ist viel zu kurz.

„Harriet“ von Taunus ist bei Ahornfelder erschienen.

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Kraftwerk auf Körpertemperatur

Der Münchner Christian Prommer bringt zehn Klassiker der elektronischen Musik neu zum Klingen. Sein Jazzquartett verleiht den Stücken auf dem Album „Drumlesson Volume 1“ Wärme.

Christian Prommer's Drumlesson

Oft ist die Idee eines Albums besser als ihre Umsetzung. Vor allem beim Vermengen von Musikstilen bedeutet neu nicht unbedingt gut. Viele Ideen werden binnen Wochen zu unerträglichen Maschen. In den Achtzigern trafen sich Pop und Klassik, später Klassik und Metal, vor ein paar Jahren wurde New Wave in Bossa gewandet, Poplieder kamen als Swing oder Easy Listening daher und Rap und Metal gingen geheimnisvolle Allianzen ein. Eine neuere Mode ist es, Rockklassiker auf karibisch zu trimmen. Oft klingen solche Mixturen, als hätte der Meisterfälscher Konrad Kujau seinen feinen Pinselstrich mit minderwertigem Gerät geführt, die Mona Lisa mit Wachsmalstiften und Kandinski mit Filzern kopiert.

Noch ein Versuch: Der Münchner Musiker und Produzent Christian Prommer bringt auf Drumlesson Volume 1 Elektronik und Jazz zusammen. Er ist nicht der erste, schon der Nu Jazz der späten Neunziger lebte von akustischen Sprenkeln im elektronischen Ambiente. Heute klingt solche Musik bieder, man hört sie bei Starbucks und bei Karstadt im Fahrstuhl.

Prommer macht es anders, und er macht es gut. Zehn wahrhaftige Klassiker der elektronischen Musik nimmt er sich vor und lässt sie von einem Jazzquartett umsetzen. Er selbst arrangiert und produziert die Stücke. House-Musik wie Mr. Fingers Can You Feel It aus den späten Achtzigern steht neben mehreren Techno-Stücken aus den Neunzigern, manche neuere Produktion wie Âmes REJ neben dem 30 Jahre alten Trans Europa Express von Kraftwerk. Prommer mischt die Stile bedacht, er verziert nicht bloß den mit dem anderen. Das Analoge und das Digitale durchdringen sich in seiner Musik. Dabei tönt weit und breit keine Elektronik. Drumlesson Volume 1 ist eine Jazzplatte.

Hier waltet die Liebe zum Detail. Die Stücke sind weise gewählt, sie repräsentieren unterschiedliche Schulen des Tanzflächenfüllens, Old School Chicago House, Detroit Techno, Minimal und wie sie alle heißen. Aufgenommen wurde das Album an einem Tag in einem Münchener Studio mit namhaften Jazzmusikern. Wolfgang Haffner spielt das Schlagzeug, Ernst Ströer die Perkussion. Über die Tasten des Flügels tanzen die Finger Roberto Di Gioias, Dieter Ilg zupft den Kontrabass. Vier Große, die schon mit noch Größeren des Genres im Studio und auf der Bühne standen, mit Bill Evans, mit Till Brönner, mit Passport.

Die vier Musiker greifen das Stumpfe, das Treibende des House immer wieder auf, selten verlassen sie den Takt, so als hörten sie die Originale im Kopfhörer während sie selbst spielten. Sie lösen die starren Strukturen auf ihre Art auf, spielerisch. Da wechseln sich Kontrabass und Klavier in der Melodieführung ab, springt der Bass plötzlich an die Stelle der Trommel und treibt den Rhythmus an. Bei Higher State Of Consciousness haut Roberto Di Gioia einen scheppernden Takt in die abgedämpften Tasten seines Flügel. Josh Wink schrieb das Stück vor 13 Jahren, er habe beim Hören dieser Version eine Gänsehaut bekommen, sagte er.

Bei Trans Europa Express wird offensichtlich, dass Prommer auch eine Art Rückführung betreibt. Kontrabass und Schlagzeug spielen ein typisches Jazzmotiv, einen Rhythmus, der klingt wie eine stampfende Dampflock. Kraftwerks frühe Arbeiten Anfang der Siebziger orientierten sich an solchen bildhaften Rhythmen, reduzierten sie und kühlten sie ab. Prommer bringt sie nun wieder auf Körpertemperatur, haucht ihnen neues Leben ein. Das Klavier übernimmt die repetitive Melodie, eigentlich nur ein ansteigender Klang. Di Gioia variiert sie immer wieder ganz leicht und bringt Distanz zwischen Original und Kopie. Und plötzlich klingt die Kopie wie ein neues Original.

Manche Stücke werden nicht zum ersten Mal so stark verfremdet. Francesco Tristano spielte zuletzt Derrick Mays Strings Of Life auf dem Flügel, ganz ohne Schlagzeug. Hier nun klingt es wieder ganz anders. Das Klavier umspielt flirrende Perkussion, der Bass taucht aus grummelnden Tiefen an die Oberfläche und stellt sich den Tastenarabesken entgegen.

Im zweiten Teil der Platte tritt die Basstrommel in den Vordergrund und stimmt den dumpfen House-Schlag an. Bei Claire ist das so und bei Higher State Of Consciousness. Der freien Improvisation lässt das Konzept wenig Raum, jedes Instrument trägt den Rhythmus, keines kann sich für mehrere Takte lossagen und sein eigenes Lied singen. Auch hier liegt das Besondere im Detail, in den leicht überhörbaren Schlenkern, die sich die Musiker hin und wieder erlauben.

Das Beeindruckende an Drumlesson Volume 1 ist, dass es seine Geschichte selbst erzählt und der theoretische Hintergrund letztlich bedeutungslos ist. Man muss sich die Nächte in den Achtzigern nicht in Clubs um die Ohren geschlagen haben, um Wohlklang zu empfinden. Man muss die zehn Originale nicht einmal kennen, um von der Kraft des Albums ergriffen zu werden.

Aber was stellt man nun mit diesem Bastard an? Soll man ihn wie eine gute Jazzplatte bei Rotwein am Kamin in High Fidelity genießen? Oder im Club dazu tanzen? Beides wäre einen Versuch wert.


Mit Christian Prommer und seinen Musikern unterwegs in Hamburg – eine Bildergalerie »

„Drumlesson Volume 1“ von Christian Prommer’s Drumlesson ist bei Sonar Kollektiv erschienen.

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So klingt’s zu gut

Die britischen Gothic-Rocker von Bauhaus kamen 25 Jahre nach ihrem letzten Album wieder zusammen. „Go Away White“ ist ein typisches Alterswerk – nicht schlecht, aber auch nicht richtig überzeugend.

Bauhaus Go Away White

Die erste Welle des Punk fegte zwischen den Jahren 1976 und 1978 über die britischen Inseln und veränderte die Musikwelt. Bereits Ende der Siebziger hatte sich die Bewegung zersplittert. Der Post-Punk entstand: The Clash ließen sich vom Reggae inspirieren, die Violent Femmes und die Young Marble Giants brachten die Energie des Punk auf akustischer Gitarre und Orgel zum Klingen, Elektronikbands wie Depeche Mode betonten die Künstlichkeit ihrer Musik. Joy Division und The Cure traten introvertiert auf, reduzierten das Tempo und experimentierten mit düsteren Klängen.

Die Band Bauhaus aus Northampton trieb in dieser Zeit das Düstere in die Finsternis und erfand den Gothic-Rock. Der Gitarrist Daniel Ash, der Schlagzeuger Kevin Haskins und sein Bruder, der Bassist David Haskins, gründeten die Band Mitte des Jahres 1979. Als Sänger engagierten sie den Drucker Peter Murphy, weil sie fanden, er sähe aus wie ein Musiker. Murphy hatte nie zuvor ein Stück oder einen Text geschrieben. Aber er hatte Talent und kaum sechs Wochen nach ihrer ersten Probe nahmen Bauhaus ihre erste Single auf.

Bela Lugosi’s Dead erschien im August 1979, das Stück dauerte düstere neun Minuten und bestand aus kaum mehr als einem simplen Gitarrenmuster, ein paar dumpfen Basstönen, sanftem Klacken des Schlagzeugs und Murphys Proklamation, der Schauspieler Bela Lugosi sei tot. Tot, tot, tot. Das Motiv war genial gewählt. Lugosis Namen verband man wie kaum einen anderen mit den Horror-Filmen der dreißiger Jahre, gestorben war er bereits lange zuvor. Ohne textlich und musikalisch auf die Pauke zu hauen, erzeugten Bauhaus durch die maßlose Repetition eine beklemmende Stimmung. Neun Minuten! Eine gute Punkband spielte in dieser Zeit ein halbes Album. John Peel präsentierte das Stück in seiner Show im britischen Radio, und er lud die Band sofort zu sich ins Studio ein. Noch im selben Jahr nahmen Bauhaus eine Session bei ihm auf.

Nach ein paar weiteren Singles erschien im Herbst 1980 das erste Album In The Flat Fields. Auf diesen ersten Aufnahmen wurden Bauhaus ihrem Namen durchaus gerecht. Die Klänge saßen an den richtigen Stellen, sie spielten keinen Ton zuviel. Bei aller Schwere besaßen sie immer auch Transparenz. Das Düstere entstand nicht durch Klangschichten, sondern durch den druckvollen Bass und Peter Murphys schneidende Stimme.

Drei weitere Studioalben entstanden, bis sich die Band im Jahr 1983 auflöste. Mask war dem ersten Album klanglich noch recht nah, Keyboards und mehrstimmiger Gesang nahmen den Stücken die beklemmende Kargheit. Die folgenden The Sky’s Gone Out und Burning From The Inside bestimmten noch deutlicher flächigere Klänge und poppige Melodien. Von der Magie der ersten Aufnahmen war am Ende nicht einmal Murphys Stimme geblieben, denn aufgrund einer Lungenentzündung war er am letzten Album kaum beteiligt. Erst fünfzehn Jahre später standen Bauhaus ein paar Konzerte lang erneut auf der Bühne. Sie spielten ein neues Stück, veröffentlichten das Live-Album Gotham und lösten sich wieder auf.

Vor zwei Jahren trafen sie sich und traten ein paar mal auf – unter anderem als Vorgruppe der Nine Inch Nails. Dann gingen sie ins Studio. Man habe sich sogar richtig gut verstanden, erzählte Kevin Haskins kürzlich, ein Zwischenfall habe ihnen aber gezeigt, dass sie nicht als Band weiterarbeiten sollten. Mehr verriet er nicht. So nahmen sie Go Away White noch fertig auf – und trennten sich wieder.

Die posthume Veröffentlichung ist zwiespältig. Der Bass tropft stet und tief wie damals, die Gitarre kreischt fast verhalten im Hintergrund. Peter Murphy kieckst und schnoddert, oft ist seine Stimme gedoppelt, oder es singen die Kollegen. Bei Adrenalin schreit er ein bisschen, dazu brezelt der Bass ganz gehörig. Die Lieder sind reduzierter, stellenweise fühlt man sich an Mask erinnert. Denn – und deswegen ist das Album auch eine Enttäuschung – an ihre erste Platte kommen Bauhaus auch nach so langer Zeit nicht mehr heran.

Es ist auffällig: Je weniger man hört, desto besser wird’s. Saved ist ruhig, stellenweise ist da nur Murphys Stimme, ab und an zersägt die Gitarre den leisen Klangteppich. Erst spät taucht ein Rhythmus auf, eine klare Basslinie und ein zaghaft angeticktes Schlagzeug. Adrenalin ist rockig aber klar, bei Mirror Remains gelingt es Bauhaus doch noch, Ruhe in Beklemmung zu verwandeln. So kann es gehen.

Die Melodien der anderen Stücke sind schon in Ordnung, aber wirklich überzeugend sind sie nicht. Viel zu oft fließen Keyboard-Klänge (Undone), Frauenchöre oder gar ein Honky-Tonk-Klavier (International Bulletproof Talent) in die Lücken, die In The Flat Fields noch ließ. Summer Of The Damned fröhnt dem ideenlosen Rock, in Black Stone Heart pfeift Peter Murphy zum elektrischen Klavier, später wird synthetisch geklatscht. So zerstören sie auch einige eigentlich gute Stücke.

Noch deutlicher ist ein technisches Problem: Moderne Studios machen es verlockend einfach, volle Klänge zu erzeugen. Go Away White klingt zu gut, um gut zu klingen. Die Klänge sind zu sauber, der dominante Bass ist perfekt ausgesteuert, die Gitarren reißen an keinem Lautsprecher mehr. Wo sind die Übersteuerungen? Wo ist das schlechtgelaunte Gerumpel? Alles nicht da. So ist Go Away White ein typisches Alterswerk: nicht gut, nicht schlecht, irgendwo zwischendrin und deshalb bald vergessen.

„Go Away White“ von Bauhaus ist bei Cooking Vinyl/Indigo erschienen.

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Kleistern bitte im Wohnzimmer

Einst waren Underworld die Helden der britischen Party-Szene. Ihr neues Album „Oblivion With Bells“ klingt dumpf und träge, wie Dubstep in Zeitlupe.

Underworld Oblivion With Bells

Jede Musik hat ihre Zeit. Genesis passten in die Siebziger und die Achtziger, heute kann man sie belächeln. Michael Jackson musiziert seit zwanzig Jahren als seine eigene Parodie, die Rolling Stones seit dreieinhalb Jahrzehnten. Auch die Wiedervereinigung der Sex Pistols vor einigen Jahren war ein Trauerspiel.

Und Underworld? Sie hatten ihre Zeit Mitte der Neunziger, Ewan McGregor rannte damals im Rhythmus ihres Born Slippy. Nuxx durch Edinburgh. In Danny Boyles Film Trainspotting lieh er dem Drogenkranken Mark Renton sein verschwitztes, aber nettes Gesicht. Renton pfiff auf Karriere und Riesenfernseher, auf Familie und Zahnzusatzversicherung. Wie Smells Like Teen Spirit einige Jahre zuvor wurde Born Slippy. Nuxx zur Hymne einer Generation. Diese gierte nicht nach Authentizität und Gitarren, sie durchfeierte die Nächte in den britischen Metropolen mit Alkohol, Pillen und poppigem Techno.

Underworld haben ein neues Album veröffentlicht, Oblivion With Bells. Interessiert das jemanden? Heute bringen die brüchigen Rhythmen des Dubstep die Tanzböden zum Bersten, Underworlds dickflüssiger Kleister ist da kaum gefragt. Sie schwelgen im Flächigen, ihre Rhythmen sind dumpf und träge, ist das Dubstep in Zeitlupe? Oft erhebt Karl Hyde seine Stimme, mal ruhig sprechend wie in Holding The Moth und Ring Road, dann wieder durch den Verzerrer singend, wie bei Crocodile und Best Mamgu Ever. Das geht meist ohne Punkt und Komma, wie damals bei Born Slippy. Nuxx.

Überhaupt, irgendwie ist hier alles wie früher. Hyde und sein Kollege Rick Smith fackeln nicht lange. Zwanzig Sekunden lang jubilieren schrille Keyboards, dann bahnt sich ein funkender Rhythmus den Weg, er beherrscht das Album. „Two kangaroo fingers push through and scratch my back in rhythm“, singt Karl Hyde in lang gezogenen Silben. Und „Two numbers click between her touch when you pull me down into them. Rising and rising through the inside of a glass eye painting“. Sind ja nur Worte. Nach sechseinhalb Minuten geht das Stück in Beautiful Burnout über, das fällt erst gar nicht auf.

Im fidelen Ring Road klingt Hyde wie Mike Skinner alias The Streets. Im nordenglischen Zungenschlag legt er eine arhythmische Geschichte über ein umso rhythmischeres Beben. Auch der Junge aus dem Trainspotting-Hit taucht wieder auf: Das Stück Boy, Boy, Boy klingt organisch, denn Larry Mullen Jr. spielt ein echtes Schlagzeug. Sonst trommelt er bei U2, auch so eine Band, die den richtigen Moment zum Aufhören verpasst hat. Das fantastische Faxed Invitation schließlich klingt wirklich ein wenig nach Dubstep.

Überhaupt: fantastisch. Das Album ergreift einen, sobald man aufhört, übers Tanzen nachzudenken. „Waiting for a night to wrap around us“, beschwört Hyde in Crocodile das alte Gefühl. „I could go in there get some sweet stuff“, fügt er hinzu und schmunzelt selbstsicher. Auch der ironische Titel des Album legt die Vermutung nahe, Underworld wüssten sehr genau, wie es um sie steht. Wenn ihr uns schon vergesst, dann wollen wir wenigstens gut klingen – so könnte man den Titel verstehen.

Und sie klingen genau so gut und dicht wie vor zehn Jahren, nur alles um sie herum klingt heute anders. Sie sind dem Club entwachsen, weil sie dort niemand mehr hören will. Ihre Rhythmen sind träge, fast beruhigend, so etwas macht sich im Wohnzimmer ohnehin viel besser.

Im neuen Kontext dürfen Underworld einen zweiten Frühling erleben. Was das für die heutige Musik von Genesis, Michael Jackson und den Sex Pistols bedeutet? Da denken wir besser gar nicht drüber nach.

„Oblivion With Bells“ von Underworld ist als CD und Doppel-LP erschienen bei PIAS.

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Zwei wie Raufaser

Nada Surf aus New York spielen schnörkellosen Indierock. Ihr Album „Lucky“ ist mal melancholisch, mal fröhlich, immer amerikanisch. Neu klingt das nicht, aber gut.

Nada Surf Lucky

Sechzehn Jahre ist es her, da erschien das erste Album der amerikanischen Indierocker Sugar, Copper Blue. Monolithen gleich ruhten Stücke wie Changes und If I Can’t Change Your Mind in sanften Hügeln aus Melodie. Ihre leicht angerauten Oberflächen schimmerten geheimnisvoll. Bob Mould, der ehemalige Gitarrist und Sänger der Punk-Band Hüsker Dü strich die verzerrte elektrische Gitarre, die Klänge verdichteten sich zu einer undurchsichtigen Nebelwand. Hier und da zerschnitt seine Stimme die Schwaden mit einer charmanten Strophe, einem beglückenden Refrain. Stetes Bumtschak-Bumbumtschak trieb die Stücke im Viervierteltakt voran. Copper Blue war stilbildend, eine ganze Generation vor allem amerikanischer Musikern wollte härter klingen als R.E.M. und freundlicher als Nirvana, eben wie das Trio Sugar.

Nun hat sich Bob Mould der New Yorker Band Nada Surf angeschlossen. So jedenfalls klingt ihr neues Album Lucky, es ist ihr fünftes. Gut und gerne könnte es Mitte der Neunziger entstanden sein. Der Blick ins CD-Büchlein verrät, dass drei Musiker am Werk sind, Bob Mould ist nicht dabei.

Die Ähnlichkeiten sind frappant. Wie Sugar errichten Nada Surf Klangwände aus angehauenen Saiten und tapezieren Raufaser drauf. Oft klingen sie melancholisch, dann wieder fröhlich, immer amerikanisch aber nie schwer. Heute macht kaum noch jemand solche Musik, so schnörkellosen, ja, eigentlich traditionellen Indierock. Ohne elektronische Angeberei, mit einer überschaubaren Anzahl von Akkorden.

Den einzigen wirklichen Unterschied macht die Stimme. Bob Mould klang immer ein bisschen angestrengt in den oberen Lagen. Nada Surfs Sänger Matthew Caws turnt noch eine Oktave höher, seine Stimme ist knarzig, fast nasal. Richtig gut singen sie beide nicht.

Lucky klingt kompakt. Hier und da ist ein ruhiges Lied eingestreut, auch mal ein Dreivierteltakt. Jedes Stück ist irgendwie schön, nur From Now On schwächelt. Beim fünften, sechsten Hören schwingen sich kleine Lieblingsmelodien empor, erst Weightless, dann See This Bones und Whose Authority. Später Beautiful Beat und I Like What You Say, bald fast alle. Wenn die Melodien erst im Kopf umherschwirren, wird Lucky seinem Titel gerecht, dann macht seine Leichtigkeit auch ein bisschen glücklich.

Ein Überflieger wie Always Love von ihrem letzten Album The Weight Is A Gift fehlt, Lucky tut das gut. Im Klang der brillanten Melodie von Always Love verblasste damals der Rest der Platte.

Und Bob Mould? Ein Minialbum und ein langweiliges zweites Album nach Copper Blue hat er Sugar aufgelöst und Solopfade beschritten. Dieser Tage veröffentlicht auch er eine neue Platte, District Line. Seine Stimme ist sanfter geworden, seine Gitarren auch. Nett ist das, klingt ein bisschen wie diese amerikanische Rockband Nada Surf.

„Lucky“ von Nada Surf ist als CD und LP bei City Slang erschienen.

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Zum Freudentag zehn Pflaumen

Die Plattenfirma Thrill Jockey aus Chicago wird 15 Jahre alt. Zum Geburtstag gibt es „Plum“, ein Pappkistchen mit zehn Vinyl-Singles. Die Künstler des Labels spielen sich darauf gegenseitig nach.

Thrill Jockey Plum

Da stockt das Hören. Zwanzig Stücke auf zehn Singles, das heißt: alle drei bis fünf Minuten aufspringen, die Nadel abnehmen, das Vinyl umdrehen oder wechseln, die Nadel wieder auflegen und das Scheibchen in Bewegung bringen. Plum nennt das Label Thrill Jockey ein Pappkistchen mit zehn Singles, aufgenommen zum Fünfzehnjährigen, limitiert auf 2.000 Stück. Die Künstler der Plattenfirma spielen sich gegenseitig nach. Plum gibt es nicht auf CD, die zwanzig Stücke sollen für alle Zeiten exklusiv bleiben. Beim Label kostet der Spaß 35 US-Dollar plus Porto und Zoll, in Deutschland bekommt man das Paket für rund 45 Euro.

Wer singt nun hier? Nur wenige Künstler tragen einen großen Namen. Der Kiste ist kaum Information zu entnehmen, es gibt kein erläuterndes Büchlein, auf den Plattenhüllen sind nur die Namen der Beteiligten verzeichnet. So trifft der Hörer lauter Unbekannte, fühlt sich ein bisschen blind. Namen und Pflaumen tropfen, irgendwann horcht er einfach und fragt sich gar nicht mehr, ob er all diese Leute kennen müsste.

Eine Angela Desveaux macht den Anfang. Sie singt ein sprödes Country-Liedchen, das Original stammt von der Band Abouretum. Two Moons schleppt sich, die Slidegitarre klagt ein langes Solo. Ein nettes Stück, aber ein mitreißender Beginn ist das nicht.

Auf der Rückseite singt John Parish mit einer Partnerin Vampiring Again von Califone. Marta Collica heißt die Dame. Die beiden sanften Stimmen passen gut zusammen, das Stück klingt charmant und etwas ländlich. Die Gitarren steigern sich, am Ende geht es hier richtig laut zu.

Aufstehen, Platte wechseln.

Auf jeder Single ist eine andere Pflaumensorte abgebildet, ihre Blätter, ihre Frucht und ihre Kerne. Die zweite Single ziert eine rot leuchtende Pflaume, ob es hier etwas feuriger zugeht? Nun kommen die auf der ersten Single Nachgespielten zum Zug. Arbouretum singen Bus Stop von Thalia Zedek, ein schunkelndes Rocklied mit schrammeligen Gitarren. Feuriger ist das, ja.

Eine der ersten Bands des Alternative Country war Freakwater aus Kentucky. In den vergangenen zwölf Jahren veröffentlichte das Duo sechs Alben bei Thrill Jockey, auf Plum werden sie gleich dreimal nachgespielt. Den ersten Versuch unternehmen Califone, sie tragen auf der Rückseite Jewel vor, mehrstimmig, akustisch, blechern.

Aufstehen, Platte wechseln.

Und wieder Califone. The Sea & Cake aus Chicago spielen deren Spider’s House in ganz untypischem Klang. Die Blechbläser tönen, sie zerwirbeln die für Califone so typische glatte Oberfläche. Im Jahr 1995 war Thrill Jockey von New York nach Chicago umgezogen, wegen der Steuern und der Miete, heißt es. Das Label hat den Klang Chicagos geprägt, Ende der Neunziger erblühte hier der sogenannte Post-Rock. Bands wie Tortoise und The Sea & Cake brachen die üblichen Rock-Strukturen auf und fügten ihm ein paar Bluenotes hinzu. Viele Jazzkapellen versuchten sich nun als Rocker.

Auf der Rückseite der dritten Single sind The Zincs zu hören. Jim Elkington, der Gitarrist der Band Sophia, hat zuhause mithilfe eines Schlagzeugcomputers, eines Keyboards und einer Gitarre Howe Gelbs Blue Marble Girl aufgenommen. Welch reizvolle Kargheit. Sie erinnert an die Schlafzimmerlieder der Band Casiotone For The Painfully Alone.

Aufstehen, Platte wechseln.

Bei aller Liebe zur Gestaltung, diese Zusammenstellung anzuhören ist reichlich umständlich. Hätte man nicht eine CD beilegen können? Die könnte man dann anhören, und die Plaumenkiste machte sich gut im Plattenschrank.

Es folgt die gemeine Hauspflaume. Vorn singen Tortoise das Lied Fallslake von Nobukazu Takemura. Die Stimme ist verzerrt, ein bisschen wie bei Daft Punk. Der Rest klingt sehr bekannt, ein flirrendes Schlagzeug, eine leicht übersteuerte Orgel, ein lebendiger Bass. Das Stück wäre auch instrumental ganz wunderbar.

Nach kurzer Unterbrechung ist die Gruppe Pullman zu vernehmen, das Zweitprojekt von Tortoises Douglas McCombs. In ihren Händen beginnt Three In The Morning zu Schweben. Keyboards breiten eine Fläche aus, der Bass tut darauf vorsichtige Schritte, die Gitarre spielt ein Solo in Zeitlupe, ihre Töne zersägen den Raum. Von dem verschwurbelten Jazz des Chicago Underground Quartet ist kaum etwas übrig.

Das Konzept von Plum hat auch sein Gutes. Three In The Morning möchte nachhallen und darf das. In den dreißig Sekunden bis Thalia Zedek auf der fünften Single Flat Hand anstimmt, kann es wirken und sich setzen.

Also, Pause. Dann die Platte wechseln.

Auch Thalia Zedeks Beitrag ist im Original von Freakwater, wieder wird mehrstimmig gesungen. Die Country-Klänge halten sich zurück. Post-Rock und Country waren in den vergangenen Jahren die musikalischen Pole des Labels, auch in der Pflaumenwelt liegen sie weit auseinander. Und das obwohl die personellen Verzweigungen bei Thrill Jockey zahlreich sind.

Eleventh Dream Day bespielen die Rückseite. Douglas McCombs steht am Bass, Janet Beveridge Bean von Freakwater singt im Hintergrund und spielt einen simplen Rhythmus auf dem Schlagzeug. Die Band macht aus der behutsamen Ballade I Like The Name Alice von Sue Garner und Rick Brown ein dröhnendes Rockstück. Douglas McCombs spielte auch beim Original mit.

Aufstehen, Platte wechseln.

Single Nummer sieben, und wieder Freakwater. Diesmal nimmt Bobby Conn sie auseinander. Sein Washed In The Blood ist eine ausgelassene Tanznummer, die Fiddle ist nur noch als Sample im Refrain zu vernehmen. Wenn derart Neues entsteht, macht Plum am meisten Spaß.

Mutig gehen auch Adult auf der Rückseite zu Werke. Ihr Underwater Wave Game – ursprünglich von Pit Er Pat gesungen – ist verdrehter Elektrorock, überkandidelt instrumentiert und kieksend gesungen.

Aufstehen, Platte wechseln.

Karibische Klänge fließen aus dem Lautsprecher. Pit Er Pat aus Chicago tragen nun, unterstützt von sanften Bläsern und einer leiernden Gitarre, Flew Out Of My Window von The Lonesome Organist vor. Das Stück hat schon ein paar Jahre auf dem Buckel, damals war es eine klaustrophobische Nummer, von Jeremy J. Jacobsen auf Gitarre, Xylofon und singender Säge eingespielt. Er jodelte ein bisschen dazu, Pit Er Pat belassen es beim Instrumentalen.

Sue Garner und Rick Brown nahmen sich ein Stück der abgedrehten Japanerinnen OOIOO vor. Es gelingt ihnen, das wilde Getrommel, Gepfeife und Geschrei von UMO noch zu überbieten. Sie verändern nicht viel, allein sie legen eine Schippe drauf. Die Trommeln hallen tief, der Bass grunzt. Sue Garner schnarrt eine Mischung aus Englisch, Japanisch und Fantastisch ins Mikrofon, im Hintergrund quietscht eine Blockflöte.

Hinterher braucht der Hörer eine längere Pause, zwei Minuten mindestens. Dann: Aufstehen, Platte wechseln.

David Byrne macht offensichtlich gern mit bei schrägen Projekten. Kürzlich trug er zu David Shrigleys Worried Noodles bei, nun singt er Thrill Jockey das Geburtstagsständchen. Vor fünf Jahren hatte er hier mit Musikern der Bands Belle & Sebastian und Mogwai einen Soundtrack veröffentlicht. Nun arrangiert er Ex-Guru von den Fiery Furnaces ein bisschen um. Außer der Stimme verändert er nicht viel, ein bisschen schade ist das.

Directions In Music spielen auf der Rückseite Jeff Parkers Toy Boat. In den letzten fünf Jahren hatte Parker zwei luftige Jazz-Alben bei Thrill Jockey veröffentlicht. Hier klingt es nach Tortoise, rockig und jazzig, deren Bundy K. Brown spielt mit. Directions In Music holen den Bass nach vorne und verleihen Toy Boat Schwere.

Aufstehen, Platte wechseln.

Nun dürfen die bereits vielgeehrten Freakwater selbst ran, ihre Version von Passengers der Zincs ist noch spröder als das Original. Catherine Irwin und Janet Beveridge Bean singen zweistimmig und begleiten sich an Gitarre und Mandoline. Es rauscht und knackt, das Stück könnte auch in den zwanziger Jahren in den Appalachen entstanden sein. Gackern da Hühner im Hintergrund? Die Stimmen der beiden Frauen passen ganz herrlich nicht zusammen. Das Lied ist viel zu kurz, am besten hört man es gleich zweimal.

Rund 80 Künstler und Bands haben in den vergangenen fünfzehn Jahren bei Thrill Jockey Platten veröffentlicht, immerhin ein Viertel darf hier gratulieren. Der nächste ist Archer Prewitt, Gitarrist von The Sea & Cake. Er impft The National Trusts Mrs. Turner den Gospel ein. Minutenlang singt er im Chor vom Nice girl, gooo-hoood Girl, Trompete und Saxofon wetteifern, ein bisschen geklatscht wird auch.

Aufstehen, Platte wechseln.

Die zehnte Single. Wieder ist die Verbindung direkt, Mouse On Mars mischen The Sea & Cakes Middlenight neu zusammen, das ist ein bisschen zu anstrengend. Auf der Rückseite ist Howe Gelb zu hören, er schließt den Kreis. Boxers ist ein Stück von John Parish, ihn hörten wir auf der ersten Single.

Das Knacksen der Auslaufrille hallt noch ein paar Minuten durch die Lautsprecher. Jetzt braucht der Hörer erstmal ein bisschen Ruhe.

„Plum“ ist auf Vinyl bei Thrill Jockey erschienen.

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