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Den Bass flach halten

Munk macht Tanzmusik von morbider Schönheit. In seinen besten Momenten klingt das Album »Cloudbuster« nach italienischer Nobeldisko und dem New Yorker Punkschuppen CBGB.

Munk Cloudbuster

»Come on, bring it on!«, flüstert eine Stimme zu Beginn. Das ist mehr als eine Aufforderung, das klingt wie ein Befehl. Ein massiger Klavierakkord springt die Tonleiter hinauf, erinnert an die besten Zeiten der Housemusik. Die Flüsterstimme ist wieder da. Diesmal verkündet sie: »Live Fast! Die Old!«. Müsste das nicht ganz anders heißen? Was ist geschehen mit dem selbstzerstörerischen Credo des Rock’n’Roll? Hier werden noch ganz andere Sachen passieren. Willkommen auf Cloudbuster, dem musikalischen Spiegelkabinett von Munk.

Munk waren mal zu zweit. Jonas Imbery und Mathias Modica krempelten mit ihrem Debütalbum Aperetivo vor drei Jahren die elektronische Tanzmusik um. Bei ihnen trafen Post-Punk, Synthesizer-Disco und Wave aufeinander. Als eine der ersten deutschen Bands verbanden Munk die Do It Yourself-Ästhetik des Punk mit dem Disco-Glitzern ihrer Wahlheimat München. Dort stand einmal die Wiege des berüchtigten Munich Sound: Giorgio Moroder schoss von hier aus seine galaktischen Disco-Weltraumabenteuer in die Erdumlaufbahn.

Mit Gomma Records erfanden Imbery und Modica im Jahr 2004 auch gleich das Label zum Klang. Dabei ist Gomma weniger eine Plattenfirma als vielmehr ein Design. Neben elektronischer Musik erscheint hier mit dem Amore Magazine eine Plakatzeitschrift. Befreundete Künstler und Modedesigner gestalten die eigene T-Shirt-Kollektion und kümmern sich um den optischen Gesamtauftritt der Firma. Zu Modeschauen von Louis Vuitton und Givenchy steuern Künstler des Labels die Begleitmusik bei. Gommas Konzept funktioniert in Galerien und Clubs gleichermaßen. Inmitten des Irrsinns fanden Imbery und Modica immer noch Zeit, als DJ-Team aufzutreten. Mittlerweile betreibt Mathias Modica das Projekt Munk allein. Jonas Imbery produziert unter dem Namen Telonious eigene Musik.

Cloudbuster ist eine Tanzplatte von morbider Schönheit geworden. Schon die Single Live Fast! Die Old! macht deutlich, dass Munk die Punk-Attitüde des Vorgängeralbums gegen den schillernden Pathos des Disco eingetauscht haben. Schwere Akkorde des ausgebildeten Klavierspielers Modica zitieren die Klassiker des Chicago House. Eine laszive Frauenstimme singt dazu mal auf Englisch, mal auf Italienisch. Sie gehört der Schauspielerin Asia Argento, der Tochter des italienischen Horror-Regisseurs Dario Argento. Sie verleiht den Stücken eine düstere Erotik.

In seinen besten Momenten klingt Cloudbuster nach italienischer Nobeldisko und dem Punkschuppen CBGB zugleich. Immer wieder verweisen die Lieder auf die kruden Anfänge der Diskomusik, den Hang zur verschwenderischen Melodie leiht sich Modica bei der Italo Disco, die Orgeln und Schlagzeugeffekte klingen nach frühen Krautrockexperimenten.

Den Bass hält Modica erstaunlich flach, richtig abheben will keines der Stücke. Cloudbuster ist keine reine Clubplatte, es gibt zu viel zu entdecken. Es ist eine Platte voller popmusikalischer Kalauer, die mit Klugheit und Charme angeschoben werden. Hier bemüht Modica alberne Soundeffekte, dort darf Asia Argento »I don’t like milk, I don’t like lemonade« über eine brummende Basslinie rappen. Die Ernsthaftigkeit, mit der sie das tut, gibt No Milk etwas Absurdes. So ist die erste Hälfte des Albums überaus unterhaltsam, ein Hit jagt den nächsten. Das schunkelige The Rat Race und der lässige Groove auf You Never See Me Back Down gehören zu den Höhepunkten.

Irgendwann jedoch kippt die Stimmung. Seltsame Geräusche schleichen sich ein, die Stücke haben keine klar erkennbare Struktur mehr. Die Rhythmen schleppen sich wie lahme Monster vorüber, rätselhaft verzerrte Stimmen dringen an die Oberfläche. Direkt unheimlich klingt Cloudbuster in der zweiten Hälfte, die gute Laune ist verschwunden. Ist das überhaupt noch Disco-Musik? Tanzen möchte man dazu jedenfalls nicht.

Was zunächst als Bruch verstört, offenbart sich beim näheren Hinhören als logischer Übergang. Die Platte gewinnt nun an Atmosphäre, gleicht einer Filmmusik. Die poppige Breite der ersten Stücke weicht einer cineastischen Doppelbödigkeit. Hier zielt die Platte nur noch vordergründig auf den Tanzboden, der tatsächliche Spielraum ist das Kino im Kopf. Die vielen Verweise auf filmische Vorbilder sind gar nicht zu übersehen: Das starrende Auge auf der Plattenhülle erinnert an Luis Buñuels Stummfilm Ein andalusischer Hund, die musikalischen Themen auf Stücken wie Interludus #1 und Il Gatto könnten italienischen Giallo-Filmen entstammen. Der Titel des Stücks PsychoMagic verweist auf die dubiose Therapiemethode des Regisseurs und Tarot-Meisters Alejandro Jodorowsky. Und damit nicht genug: Den Text von The Rat Race schrieb der Filmemacher Klaus Lemke. In einem der Platte beiliegenden Pamphlet findet Lemke weise Wort: »Musik ist für die Gefühle da, die man woanders nicht unterkriegt.« Cloudbuster ist voll von diesen Gefühlen.

„Cloudbuster“ von Munk ist auf CD bei Gomma erschienen.

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Ein Herz zum Bluten

Die Kanadierin Martha Wainwright ist der jüngste Spross einer überaus musikalischen Familie. Auf ihrem zweiten Album präsentiert sie rockigen Folk mit bissigen Texten und ihrer erstaunlichen Stimme

Martha Wainwright I Know You're Married But I've Got Feelings Too

Martha Wainwright ist die kleine Schwester von Rufus Wainwright und die Tochter der Folk-Sänger Loudon Wainwright III und Kate McGarrigle. Über die Dramen, die sich in so einem Musikerhaushalt abspielen, wird viel spekuliert. So munkelt man, das Bloody Motherfucking Asshole auf Martha Wainwrights erstem Album sei Martha Wainwrights Vater.

Ihre Platten wären auch ohne die prominente Familie bemerkenswert. Denn die wahren Dramen spielen sich in den Liedern ab. Da ist zunächst ihre enorme Stimme, ein leicht angerauter Sopran, der Höhen erklimmen und düster grummeln kann. Ihr Bruder äußerte sich schon häufig neidisch auf ihren Stimmumfang. Solch eine Stimme braucht keine dramatische Instrumentierung.

So finden sich in Martha Wainwrights Musik auch nicht die große Geste der Oper und das Glitzern des Broadways, von denen die Musik ihres Bruders lebt. Martha Wainwright bevorzugt erdigen Folk-Rock. Den spielt sie lange nicht so traditionell wie ihre Eltern, sondern näher an Jeff Buckleys ozeanischem Rock. Ihre Stimme und die üppige Begleitung verbinden sich auf ihrem neuen Album I Know You’re Married, But I’ve Got Feelings Too zu einem überwältigenden Klangstrom.

Die stärksten Einflüsse liegen außerhalb der Familie. Der Chor in So Many Friends, zusammengeschnitten aus Fetzen der eigenen Stimme, könnte so auch bei Kate Bush erklingen. Wie sie lotet Martha Wainwright die Tiefen der Seele aus, sie entflieht den düsteren Gedanken jedoch nicht in mythische Welten, sondern begegnet ihnen mit beißendem Humor. Der Titel I Know You’re Married, But I’ve Got Feelings Too ist eine Zeile aus dem Eröffnungsstück Bleeding All Over You. Wainwright gibt die Verletzung in einer rhetorischen Wendung zurück, so funktioniert das in den meisten Stücken.

Bleeding All Over You hat einen leichtfüßigen Rhythmus und wehmütige Streichersätze. Die Stimme klingt anfangs zart, im Refrain wird sie rauer: »My heart was made for bleeding all over you / I know you’re married but I’ve got feelings too / and I still love you«. Diese unvermittelten Wechsel vom Zärtlichen zum Rauen, vom Verletzlichen zum Angriffslustigen, erschaffen das Drama in der Musik Martha Wainwrights. Die Ironie ist ihr kein Schutzschild gegen die Zumutungen der Welt, ihr geht es um den Schmerz selbst.

Einfach ist das nicht, Martha Wainwrights Lieder sind durchaus anstrengend. Es dauert ein wenig, bis man sich an das ständige Gegeneinanderlaufen der Emotionen gewöhnt hat. Im Tower Song sind düster dräuende Streicher, ein ächzendes Akkordeon und dramatische Trommelwirbel kunstvoll arrangiert. Ihre Stimme dagegen erhebt sich aus dem Tumult, als hätte sie nichts mit all dem zu tun.

Manches wirkt beim ersten Hören unstrukturiert, setzt sich später aber fest. Das macht die Platte stark. Nur wenn sich wie in Jimi der Widerspruch der Stimmungen in der Instrumentierung findet, klingt es fad. So berechenbar ist I Know You’re Married, But I’ve Got Feelings Too jedoch selten. Meist ist da eine Spannung, da brilliert die Stimme, und die feine Instrumentierung tritt in den Hintergrund.

„I Know You’re Married But I’ve Got Feelings Too“ von Martha Wainwright ist bei Cooperative Music/Universal erschienen.

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Lasst uns jung klingen!

Anfang der Neunziger hatten die Charlatans aus Manchester einige mitreißende Lieder aufgenommen – dann wurden sie müde und lahm. Mit ihrem zehnten Album „You Cross My Path“ knüpfen sie endlich an den früheren Wohlklang an.

Charlatans You Cross My Path

Here Comes A Soul Saver hieß eines der hymnischen Stücke auf dem unbetitelten, vierten Album der Charlatans. Seelen retten, das wollten sie – und schauten von der Hülle, als meinten sie es ernst. Das war Mitte der Neunziger, und die Charlatans waren schon damals keine junge Band mehr.

Erinnern wir uns: Angefangen hatten sie im Jahr 1989, als in Manchester die von DJs und Musikern aufbereitete Fusion aus House, von den Sechzigern inspirierten Gitarrenklängen und dem Kreischen der Hammond-Orgel ihren ersten Höhepunkt erreichte. Damals konnte man Manchester noch eine Arbeiterstadt nennen, eine Stadt der Industrie, das Leben war nicht einfach, doch gab es Hoffnung: Das nächste Wochenende kam bestimmt. Wo England trostlos war, da waren die Nächte lang.

Gerade als der Manchester-Rave am schönsten war, verschwand eine Band nach der anderen in der Versenkung. Nicht so die Charlatans. Ihr Debüt Some Friendly war im Jahr 1990 dank der Single The Only One I Know zum Kassenschlager geworden. Danach gab es fast jedes Jahr eine neue Platte der Band. Die Musiker entfernten weiter sich von ihrem Konzept, Musik für den Tanzboden zu machen und suchten ihr Glück bald in klassischen Popliedern. Aus hedonistischen Disko-Gängern und Pop-Ravern wurde eine Band, die in den späten Neunzigern so klang wie die Rolling Stones ein Vierteljahrhundert zuvor: Rhythm & Blues bosselten sie zu Britpop, der Gitarrist Mark Collins spielte lupenreine Keith Richards-Riffs.

Irgendwann büßten die Charlatans den Groove ein. Die Alben der vergangenen Jahre waren mau, manche richtig schlecht. Man wollte sie nicht mehr hören.

Welche Überraschung: Auf ihrem gerade erschienenen zehnten Album You Cross My Path ist alles wieder da: New Order’sche Melancholie, tanzbare Rhythmen, wummernde Orgeln und Melodien, die sich in Ohr und Herz verhaken. Und auch das spröde Timbre des Sängers Tim Burgess klingt endlich wieder kraftvoll, das zähe Dehnen der Silben kommt so unvergleichlich großmäulig daher, wie man es von früher kennt.

Das erste Stück Oh! Vanity legt einen hinreißenden Ohrwurm über ein stoisch durchgeprügeltes Schlagzeug. Die folgenden Bad Days und Mis-takes ziehen mit ins Manchester der frühen Neunziger. Und das Titelstück: Hart schlägt der Rhythmus, die Gitarre setzt ein, störrisch, beinahe hochnäsig, dann diese unverkennbare Stimme Tim Burgess’. So luftig und mitreißend klangen die Charlatans lange nicht mehr. Es ist eine Lust, die Band heute zu hören: Hier werkeln Männer über 40, die sich versprochen haben, die beste Platte ihres Lebens zu machen. Zwanzig Jahre nach der Gründung der Band wollen sie noch einmal jung klingen.

Bereits Anfang März konnte man das Album gratis von der Website der Band herunterladen, 30.000 Menschen nahmen diese Möglichkeit wahr. Für Charlatans-Sammler und Liebhaber des haptischen Musikgenusses gibt es indes einen besonderen Ohrenkitzel: Neben der CD erscheint ein aufwändiges Kistchen mit großen, schwarzen Schallplatten.

„You Cross My Path“ von den Charlatans ist auf CD und LP erschienen bei Cooking Vinyl/Indigo.

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In 14 Liedern um die Kokosnuss

Señor Coconut jagt alte Hits durch seinen Rechner und verpasst ihnen den Hüftschwung. Sein neues Album lädt den Hörer zu einer Reise im Tanzschritt, es geht von Kontinent zu Kontinent, von Dekade zu Dekade.

Señor Coconut Around The World

Señor Coconut wohne in Chile, sagen das Internet und die Werbetexte. Was das mit seiner Musik zu tun hat? Versuchen wir es mal so: Käme eine Platte mit Lederhosen-Blasmusik aus Bayern, wäre das nichts Ungewöhnliches. Käme sie aber aus Chile und wäre nicht von einer Band eingespielt sondern Stück für Stück am Computer zusammengesetzt, so wäre das schon die Erwähnung wert. Señor Coconut macht so eine Art Blasmusik, wenn auch keine bayerische.

Señor Coconut heißt bürgerlich Uwe Schmidt. Er nimmt sich der Musik seiner lateinamerikanischen Wahlheimat an und spielt in der typischen Kombination aus Perkussion und Bläsern Welthits nach. Am Computer, aus vielen kleinen Schnipseln zusammengesetzt. Dass diese genau genommen billige Art der Wiederverwertung funktioniert, liegt nur zum Teil an der gelungenen Auswahl der Titel. Viel wichtiger sind Señor Coconuts aufrichtige Wertschätzung lateinamerikanischer Musik und sein Humor.

Was bisher geschah: Seit rund zehn Jahren schüttelt Uwe Schmidt die Kokosnüsse, zuerst auf dem Album El Gran Baile. Das war noch bevor er nach Chile exilierte. Im Jahr 2000 interpretierte er auf El Baile Aleman das Werk der Band Kraftwerk neu, auf Fiesta Songs drei Jahre darauf stellte er Sade, Deep Purple, Michael Jackson und Jean-Michel Jarre nebeneinander auf die Tanzfläche. Im Jahr 2006 bearbeitete er auf Yellow Fever Stücke der japanischen Elektropopband Yellow Magic Orchestra, im gleichen Jahr schenkte er der Welt Coconut FM, eine im Stil einer Radiosendung gemischte Kompilation südamerikanischer Clubmusik.

Jetzt geht es Around The World, der Titel fasst zusammen, worum es bei Señor Coconut offenbar schon immer ging. Dankbar greift er die Vorlage der französischen Tanzbarden Daft Punk auf und bringt die Hüften zum Schwingen. Weiter um die Welt geht es mit Sweet Dreams, die britischen Eurythmics dürfte diese gelungene Version ihres Stücks erfreuen. Stefan Remmler war so angetan von der Neuinterpretation seiner alten Band Trio, dass er bei Da da da ich lieb dich nicht du liebst mich nicht aha aha aha gar selbst singt.

Wie und wo sich der in Berlin lebende venezolanische Sänger Argenis Brito und der österreichische Crooner Louie Austen die Klinke in die Hand – besser den Kiss – gaben, ist eines der Rätsel der weltumspannenden Idee dieses Albums. Die synthetische Frauenstimme auf Corcovado hingegen stammt wohl aus Japan, das ist immer eine Reise wert. Havanna hingegen liegt um die Ecke, das Stück Que Rice El Mambo gibt Señor Coconut die Möglichkeit, den kubanischen Musiker Pérez Prado auferstehen zu lassen. Er gilt als Erfinder des Mambo und ist der gute Geist Coconuts Musik.

Beim Pinball ChaCha der Schweizer Elektroband Yello tritt Louie Austen erneut ans Mikrofon. Anschließend holen Señor Coconut und Argenis Brito das vor 25 Jahren in Dänemark gestrandete White Horse wieder in seine Heimat zurück. Laid Back hatten das damals gesungen, ob man ihre Meinung über Konsum und Nicht-Konsum in Südamerika teilt? Die Basslinie spricht eine klare Sprache, das Pferd fühlt sich schnell wieder heimisch.

Apropos Heimat. La Vida Es Llena De Cables ist eine Neuinterpretation der Los Samplers, einer gar nicht existenten Band von Señor Coconut (hier getarnt als AtomTM) und Original Hamster. Da sind wir doch schon fast wieder zu Hause. Zum Schluss werden wir ausgeführt in die Moscow Disco von Telex. Toll! Und wer dann noch nicht genug von der Welt gesehen hat, den nehmen die beiden Bonustitel Dreams (Are My Reality) und Voodoo Dreams noch ein Stückchen mit. Voodoo Dreams von Les Baxter und sein Album ‚Round The World With Les Baxter gaben übrigens die Idee für den Titel dieses Albums.

Señor Coconuts Interpretationen funktionieren bei elektronischem Ausgangsmaterial am besten, weil die Unterschiede am größten sind. Es macht Spaß, die vollkommen synthetischen Klänge von Daft Punk und Eurythmics durch Bläser und Trommeln ersetzt zu hören. Tanzbar ist jedes Lied, die geschwungene Welle auf dem n hat der Señor sich redlich verdient.

„Around The World“ von Señor Coconut ist auf CD erschienen bei PIAS/Rough Trade.

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Das Leben ist kein Wunschkonzert

Auf ihrem zweiten Album „Verlass die Stadt“ gibt sich die Wienerin Gustav weniger kämpferisch als zuvor. So hübsch die Töne, so verzweifelt klingen ihre politischen Texte.

Gustav Verlass die Stadt

Die Hülle von Gustavs erstem Album Rettet die Wale zierte eine idyllische Berglandschaft. Der Wal im Bergsee irritierte. Auf dem neuen Album Verlass die Stadt sieht man einen dichten Wald, in dem Menschen liegen. Entspannen die Menschen? Sind sie tot?

Gustav ist die Wienerin Eva Jantschitsch. Sie arbeitet gerne mit Gegensätzen, aber sie traut ihnen nicht. Im Titelstück ihres neuen Albums beschreibt sie die Stadt als unwirtlichen Ort. Mit dem Stück Alles renkt sich wieder ein stellt sie klar, dass die Flucht in die Natur keine Alternative ist. Alles renkt sich wieder ein ist ein Volksmusik-Schlager mit apokalyptischem Text. Die Trachtenkapelle Dürnstein hat Schwierigkeiten, das Arrangement von Christoph Seliger zu spielen. Leicht schräge Klänge unterstreichen die Todessehnsucht: »Ich will die Kinder schreien hören / Die Mütter einsam fleh’n am Grab / Und keine Vögel soll’n mehr singen / Nur unsere Melodie erklingen.« Die heile, harmonische Welt der Volksmusik wird mit einer Zerstörungswut kurzgeschlossen, die durchaus in der Welt der Trachten und Blaskapellen beheimatet ist. »Zumindest in Österreich sind Trachten und Musikvereine erzkonservativ, meist bräunlich eingefärbt«, sagt Gustav.

Viele Stücke leben von solch einer konzeptuellen Herangehensweise. Erstaunlich ist, dass sie trotzdem als hübscher Pop funktionieren. Die Melodien bleiben nach dem ersten Hören hängen. Eva Jantschitsch hat eine klare, unprätentiöse Gesangsstimme. Und die Elektronik umgarnt das Ohr, ohne sich in den Vordergrund zu drängeln.

Gustav klingt auf Verlass die Stadt trauriger als bei Rettet die Wale. Das Debüt war noch kämpferisch, in We Shall Overcome hieß es: »Deep in my heart, I do believe / That we can defeat / This mess that we bought so far«. Die neuen Lieder thematisieren die eigene Verstricktheit ins Elend: »Jetzt ist also dein Körper / Dein Körper die Fabrik / Reproduzierst du was begehrt wird / Oder wieder nur dich? / Dient dir der Dampf als Antriebskraft / Oder ist es gar Leidenschaft?« heißt es in Soldat_in oder Veteran. Dazu stampft ein Elektro-Rhythmus, der nah am Marsch gebaut ist.

Total Quality Woman lässt die flexibilisierte, moderne Frau auftreten. Und obwohl sie alle modernen Eigenschaften besitzt – »She’s the culturally engineered / Downsized, outsourced, teleworked / Just-in-time, take-out, just-in-time / Down-right-tired…now« – ist sie noch so unfrei, so gefangen im Geschlechterklischee, wie die Hausfrau vor 50 Jahren. »Push her womb and she will hum / ›How kind of you to let me come‹ / She is flexible and caring / Sympathetic and observing / Add an intercessory device / For a rockbottom price.« Musikalisch unterstreicht die Verbindung beschwingter Streicher mit gebrochenen Rhythmen und Störgeräuschen die Wirkmächtigkeit von Geschlechterrollen.

Dass Gustav das Protestlied gerettet habe, ist ein Missverständnis. Schuld daran ist vor allem das Stück Rettet die Wale. Dabei sind Zeilen wie »Rettet die Wale / Und stürzt das System / Und trennt euren Müll / Denn viel Mist ist nicht schön« und »Lasst den Kindern ihre Meinung / Oder treibt sie früher ab« eher ein Abgesang auf die wohlmeinenden Aufforderungen der Liedermacher. Verlass die Stadt paart Resignation mit bösem Humor. Gustavs Lieder sind politisch, Protestlieder sind es nicht.

Am Ende der Platte singt sie ein Ständchen, dass einem die Lust auf Geburtstage vergällt. »Heute also ein Jahr älter / Lacht nicht, ihr alle werdet sterben!« trägt sie zu einem traurig schunkelnden Keyboard-Rhythmus vor. Trotzig fordert sie: »Ich will Friede / Und Freude / Und verdammt noch mal / Den Eierkuchen / Und die Freunde / Die friends / Möchte ich mir gefälligst selbst aussuchen / Doch und das sei stets vermerkt / Das Leben ist kein Wunschkonzert.« Und damit alle wissen, woran sie sind, zählt Gustav ganz am Ende auf, für wen das Leben kein Wunschkonzert sei: »Nicht für Peter, nicht für Boris, nicht für Ahmet, nicht für Thod, nicht für Svenska oder Rita, nicht für Rosi vormals Bob …«

Lesen Sie hier ein Porträt der Künstlerin von Nadja Geer

„Verlass die Stadt“ von Gustav ist auf CD und LP bei Chicks On Speed Records erschienen.

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Ein tiefergelegtes »Muuuhh«

Das schwedische Duo Minilogue zaubert Technoides aus alten Hüten. Leise wummern die Ambientfantasien mit großem Panorama, allerlei Viechern und übersinnlichen Kräften.

Minilogue Animals

Im Film Die Reifeprüfung mit Dustin Hoffman gibt es diese wunderbaren Szenen vor dem Aquarium in Benjamins Zimmer und im Swimmingpool der elterlichen Villa. Der heimgekehrte Sohn und erfolgreiche College-Absolvent starrt in die Stille seines Aquariums, angeödet von Moral und Luxus zwischen weiß lackierten Möbeln, weltfremd unter der ewig verschwenderischen kalifornischen Sonne. Er dümpelt mit Luftmatratze oder im Tauchanzug durch den Pool, unter Wasser ist Schweigen, die einzige ihm erträgliche Antwort auf die innere Leere. Und die späteren Poptroubadoure Simon & Garfunkel schmettern The Sound of Silence dazu.

Könnte man den Subtext dieser Szenen zwischen den Liedzeilen und Filmbildern herauslösen und in eine instrumentale Zweitstimme übersetzen, er klänge wie die Musik von Minilogue. Sie verweben den Schrei der Stille zu einem fliegenden Teppich aus Minimal-Techno, bunt wie eine Popballade, organisch wie manches Geräusch in der Musique Concrète, elektronisch strömend, schwebend und fantastisch wie Ambientmusik.

Aus der Underground-Szene Malmös kommen Minilogue, bisher haben sie ihre implosiven Clubhits auf Labels wie Wagon Repair und den Kölner Traum Schallplatten veröffentlicht. Das Doppelalbum Animals ist nun beim Geldadel der Clubkultur, bei Cocoon Recordings, erschienen.

Wenn zu Beginn Yesterday Bells geläutet werden, muss das wohl etwas zu bedeuten haben. Die erste CD kündet zunächst von dem, wofür die zwei Schweden seit Jahren im kleinen Kreis bekannt sind. Ihre angenehm weiche Vierviertelgrundierung mit den minimalen Farbklecksern passen genau ins Bild der frühen Neunziger-Elektronika. Alles bloß Nostalgie?

Da kommen Minilogues Erfahrungen ins Spiel – und die Tiere! Sebastian Mullaert lernte klassische Instrumente und gab schon als Achtzehnjähriger Geigenunterricht, später machten er und Marcus Henriksson sich als Trance-DJs Namen. Im zweiten Stück Cow, Crickets And Clay wird ein tiefergelegtes »Muuuhh« als künstliche Synchronstimme eingesetzt, ein comicartiger Ausreißer aus dem Gleiten in minimaler tänzerischer Euphorie. Das Giant Hairy Super Monster trifft auf die »Sicht eines Jonglierballs« und seltsame Fantasiewesen, die Minilogue als visuelle Gestaltung ihrer Musik verstehen und in Hüllenentwürfen und kleinen Videos auch auf ihrer Website präsentieren.

Musikalisch ist das dem Schaffen des ehemaligen Kölner Labelkollegen Dominik Eulberg nicht unverwandt, doch wo seine Flora und Fauna trotz Naturthema die nervöse Unruhe urbaner Klangprägung nicht leugnen kann, strahlen Minilogues Stücke nordische Gelassenheit jenseits der Tag- und Nachtgleiche aus. Stets klingen die Rhythmen nach einem flotten Spaziergang mit den Händen in den Hosentaschen, wie ein verträumter junger Kerl, wenn er sich unbeobachtet fühlt. Das ist die Intimität, die ein Blick zurück – vorbei am Sehen und Gesehenwerden auf dem Tanzboden – braucht, um mit altmodisch quäkendem Keyboardgeleier und knisternder Basstrommel neu zu überzeugen.

Leise sumsen 33.000 Honeybees, eigentlich hört es sich nur nach einem Bienchen an, ein in Zeitlupe angeworfener winziger Flugmotor, Rotorblätter aus Elfenlicht. Bei den elektronischen Quietschern und Knursplern geht es weniger um das Geräusch in seiner analytisch differenzierbaren Künstlichkeit, als um das sinnliche Hineinhören in Stimmfrequenzen, Lautbildungen, Vokalverschiebungen. Es sind die Bewegungen eines Insekts durch die Lupe betrachtet, außerhalb des Zeitflusses. Besonders in den Stücken der zweiten CD ist das Zeitgefühl aufgehoben, wandelt der Hörer auf wallenden Synthesizer-Glissandi durch übereinandergelagerte Erinnerungen und ständig ihre Form auflösende Zeiträume. Eine Steel Guitar weht aus der Ferne durchs offene Fenster, wie weggezoomt ist plötzlich die Lupe, und riesige Panoramen öffnen sich im Hörkino der Stücke Windows, City Lights, In The Shade Of The Sun und Even The Wind Seemed In Deep Sleep.

Die tatsächliche Bildabfolge in den Videoclips zu Old Water und Hitchhiker‘s Choice läuft dafür genau umgekehrt zum musikalischen Effekt relativ zu schnell. Aus Minilogues defokussierendem Blickwinkel verschwindet das Essenzielle so flink, wie die gezeichneten Comictierchen ihren Charakter wechseln und die Bildchen umblättern. In dem Stück Six Arms And One Leg fabuliert eine Stimme im Tonfall des Erzählers aus dem Skandalhörspiel War Of The Worlds von Tieren mit sechs Armen und nur einem Bein. Sie sind ohne Augen, und doch nicht blind, sie stehen im Licht und sind doch unsichtbar. Auch in Kinderbilderbüchern wird durch Umklappen nur einer Bildhälfte aus dem Schwein und der Kuh ein fantastischer Zwitter – Minilogue spielen auf ähnliche Weise mit dem Wesen des scheinbar Lebendigen und seinem Verhältnis zur elektronisch erzeugten Kunst.

„Animals“ von Minilogue ist als Doppel-CD und Doppel-LP (mit ausgewählten Stücken) erschienen bei Cocoon Recordings.

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Kleiderbürste, kling!

So nah kam F.S. Blumm aus Bremen dem Pop noch nie: Auf „Everybody Loves“ verbindet der Gesang der Schwedin Bobby Baby seine lockeren Gitarrenmuster zu richtigen Liedern.

Everybody Loves Bobby And Blumm

Es gibt Platten, über die möchte man schreiben – aber es ist schon alles geschrieben. Die Musizierenden kleben auf den Magazintiteln, und von Brigitte bis Bravo, von FAZ bis taz tönt einhellige Begeisterung. Meist bleibt rätselhaft, was an dem jeweiligen Popentwurf so besonders sein soll. Eine Behauptung scheint den Schreibern schon als Argument zu reichen. Da kann, da mag man oft nicht mithalten und schweigt.

Es gibt andere Platten, über die schreiben nur Wenige. Die lassen sich nicht als Popsensationen abfeiern, weil die mediale Aufmerksamkeit zu gering ist. Eine Sensation lässt sich schließlich nur ausrufen, wenn (fast) alle einstimmen. Dennoch gleichen sich auch die Abhandlungen über solch unbeachtete Platten. Dominieren im ersten Fall die vermeintlich kräftigen Substantive – Revolution, Sensation, Wunderwerk – so stürzen im zweiten Fall nicht selten Geröllberge von Adjektiven und Spezialwissen auf den Leser ein und nehmen ihm die Lust aufs Hören.

Frank Schültge aus Bremen … weniger sensationell kann ein Satz wohl nicht beginnen. Frank Schültge aus Bremen also streut seit zehn Jahren in kurzen, regelmäßigen Abständen wenig beachtete Töne in die Welt. Meist nennt er sich F.S. Blumm, mit anderen Musikern zusammen auch Kinn. Seine Aufnahmen klingen elektronisch, dabei entstehen sie zumeist akustisch. Diverse Plattenfirmen – viele von ihnen so bescheiden, dass sie sich selbst nie Firma nennen würden – bringen seine Alben und Singles heraus. Manches Magazin schenkt ihm Aufmerksamkeit, die meisten Berichte ergötzen sich an der Schönheit seiner instrumentalen Lieder.

Schön ist seine Musik, oder nicht? Was heißt eigentlich schön? Blumm malt ja keine Bilder*, die man sich an die Wand hängt, die man betrachtet und die aus ihrer Kunstfertigkeit heraus Wohlempfinden spenden. Musik findet man schön, wie man Menschen nett findet. Schöne Musik läuft nebenher und stört niemanden. Blumm musiziert detailreich und behutsam. Seine Musik ist nicht schön, sie braucht Aufmerksamkeit.

In letzter Zeit musiziert er gern mit anderen. Eine Platte nahm er mit dem Trompeter Luca Fadda auf, ein Minialbum mit der Französin Anne Laplantine. Seine Zusammenarbeit mit der Schwedin Bobby Baby alias Ellinor Blixt dokumentiert nun das Album Everybody Loves, erschienen unter dem Namen Bobby & Blumm.

So nah wie hier kam er dem Pop noch nie. Ellinor Blixt besingt die Lieder mit ruhiger Stimme, manchmal singt er ein paar Zeilen mit. Ihre Linien verbinden Blumms lockere Muster zu richtigen Liedern. Meist spielt er Gitarre, mal ein Xylophon und eine Orgel. Viele Geräusche kann man gar nicht zuordnen, dabei hört man immer nur sehr wenige auf einmal. Oft ist einfach nur Stille. Da sei »das Knacksen von Schellack-Platten, das Streicheln von Kleiderbürsten, von Fingerspitzen auf Pergamentpapier, klappernde Kleiderbügel im Nachtzug nach Krakau«, teilt der Pressetext mit. Man muss wirklich ganz genau hinhören.

»Ruhig« und »still« wird diese Musik genannt. Dabei brodelt es unter der sparsam instrumentierten Oberfläche gehörig. Die Lieder stecken voller Wendungen und Brüche. Und, kann Musik überhaupt still sein? »Fragil« und »skizzenhaft« sei sie, als wüssten Bobby & Blumm nicht so genau, wo das alles hinführen solle, als klängen ihre Lieder unfertig – als hätten die beiden sich womöglich keine rechte Mühe gegeben. Dabei ist den Kompositionen wahrlich nichts hinzuzufügen, sind sie gerade so komplex, wie sie eben sein müssen.

Beim letztjährigen Fusion-Festival trat F.S. Blumm in einem riesigen Iglu auf. Kaum erhöht saß er allein in der Mitte des Raumes, mit einer Gitarre, einem Kamm, einer Spieluhr und einem winzigen Effektgerät. Das Effektgerät fütterte er mit Klacken und Bimmeln, es machte einen Rhythmus draus. Über diesem zupfte er dann seine Gitarre. Nach einer Stunde wollten die Menschen mehr hören, erst wiederholte er ein Lied, dann erklärte er, wie das mit dem Effektgerät und den Geräuschen funktioniere. Klang alles ganz einfach.

* Zugegeben, F.S. Blumm malt doch Bilder, genauer: er zeichnet. An die Wand hängen sich seine Werke wohl wenige, und schön kann man sie auch nicht nennen. Aber sehen Sie selbst »

„Everybody Loves“ von Bobby & Blumm ist als CD und LP bei Morr Music erschienen.

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Ist nicht alles Gold

Und wieder hat die Musikpresse einen neuen Liebling: Santogold kommt aus Brooklyn, sie ist schwarz und selbstbewusst. Im allgemeinen Hurra hört man kaum, wie unentschlossen ihr Album klingt

Santogold

Santogold ist in aller Munde. In sämtlichen Feuilletons und Musikmagazinen wird ihr Debütalbum gefeiert. Denn sie feiern gerne, die Musikjournalisten. Fühlen wir auf die Krone: Ist Santo Gold? Oder glänzt es hier nur?

Santi White – so der bürgerliche Name der goldbehangenen schwarzen Künstlerin – schreibt hübsche Refrains. Das Album beginnt mit L.E.S. Artistes, man lässt sich mitreißen von Euphorie und Schwebe, dreht lauter. Später bei I’m A Lady bastelt sie mit einfachen Mitteln noch ein gutes Poplied. Und Santogold hat noch viel mehr vor, kaum eine moderne Spielart populärer Musik bleibt unangetastet. Ihr Album ist eine Werkschau der Vielseitigkeit.

Nur: Heißt vielseitig automatisch gut? Man könnte bemängeln, dass es Santogold an Fokussierung fehlt. Ihr Durcheinander ist zu durcheinander. Aber geht es bei solch hybrider Musik nicht genau um die Uneindeutigkeit von Stilen und Einflüssen? Warum sollte man sich auf nur eine musikalische Ausdrucksform reduzieren?

Das Problem liegt woanders. Santogold baut keine Brücken zwischen den Stilen. Ihrer Musik fehlt es an Herz. So tönt das Drama des Adepten – in zwölf Akten. Es wird gekonnt komponiert, gespielt und ausgeführt. Ein Bekenntnis aber gibt sie nicht ab, alles klingt beliebig und schwammig, seltsam kalt.

Strebsam und gelehrig ist Santi Whites Musik, ständig zerrt sie am Hörer und sagt: »Guck mal, was ich alles kann!« – aber Vielseitigkeit allein macht nicht aufregend. Dem Hören geht der Inhalt ab, Santogold bedient akustische Abziehbilder. Ihre Stimme ist biegsam und passt sich dem Musikstil an. Wenn es sein muss, klingt sie sogar wie Sheryl Crow. Bei HipHop-Stücken verwechselt man sie schnell mit M.I.A., zumal diese auch noch als Gastsängerin auftritt. Bei You’ll Find A Way klingt’s nach Sting und seiner unseligen Polizei. Diese Aufzählung von Referenzen ließe sich fortsetzen.

Aber warum fliegen nun die Musikjournalisten dermaßen auf Santogold? Ihr Phänomen ist soziologischer Natur: Eine schwarze Frau, die angesagt und nach Ghetto aussieht, sich aber auf weiße Rockmusik bezieht. Led Zeppelin und die Talking Heads nennt sie als ihre Einflüsse, das verleiht ihr den Nimbus der Aufgeklärten. Oder wie es die Frankfurter Rundschau ausdrückt: »Ghetto war gestern, hier kommt eine kluge schwarze Frau und macht Crossover-Avantgarde in Form mitreißender Popsongs.« Dabei will Santi White eigentlich Schluss machen mit dem musikalischen Rassismus und ihre Lieder für sich sprechen lassen. Wieso verwehrt man ihr das und sortiert sie ins abgegriffene Muster?

Zuviel des Lorbeers schadet der Künstlerin. Vom nächsten großen Ding kann sie schnell zum nächsten grandiosen Opfer der Erwartungshaltungen werden. Entkrampften sich alle Beteiligten ein bisschen, könnten wir uns auf Santogolds kommende Alben richtig freuen.

Das Debütalbum von Santogold ist als CD und LP bei Lizard King Records/Rough Trade erschienen.

Die Popsensation des Jahres? Lesen Sie hier das große Santogold-Porträt von Frank Sawatzki »

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Vollendete Wiederkehr

In den Neunzigern machten 18th Dye beherzten Geräuschrock, nach zwei Alben lösten sie sich auf. Mit „Amorine Queen“ sind sie jetzt wieder da. Sie klingen, als seien sie nie fort gewesen.

18th Dye Amorine Queen

Eine gezupfte Gitarrenmelodie schwingt sehnsüchtig. So könnte eine amerikanische Indie-Folk-Platte beginnen. Dann setzt die Stimme ein, mehr gehaucht als gesungen. Wer das deutsch-dänische Trio 18th Dye kennt, der weiß, dass es dabei nicht bleiben wird. Und wirklich: Sekunden später zerstören verzerrte E-Gitarren die Idylle.

18th Dye haben eine wechselhafte Geschichte. Nur wenige Gruppen haben in den mittleren Neunzigern so beherzten Noise-Rock gemacht. Damals erschienen ihre Platten auf dem einflussreichen New Yorker Label Matador. Steve Albini nahm ihre Lieder auf, John Peel war begeistert. Die Band tourte mit Yo La Tengo und wurde sogar in den USA bejubelt.

Jetzt erscheint ihr drittes Album Amorine Queen. Das ist eine wirkliche Überraschung, denn die Band von Sebastian Büttrich, Piet Breinholm und Heike Marie Rädeker hatte sich 1995 aufgelöst. Seit drei Jahren geben sie gelegentlich Konzerte. Musikalisch hat sich zum Glück wenig verändert, schroffe Rückkoppelungen treffen auf Ziseliertes. Die Bezugspunkte sind offenkundig: Velvet Underground, Spacemen 3 und Guided By Voices sind in Hörweite, vor allem aber die New Yorker Band Sonic Youth, die Könige der entfesselt drängenden Gitarren. Den Strahlen ihres Leuchtturms folgen 18th Dye bis heute.

Das erste Stück Island vs Island klingt wie ein Prototyp. Der Wechsel von laut zu leise, von der Geräuschwand zum einzelnen, befreiten Ton, das Verschmelzen von Fragilem und Brachialem, unvorhergesehene Wendungen, das Süßliche und das Störrische, der verzerrte und der reine Klang – all das kommt hier zusammen. 18th Dye machen aus Heterogenität hohe Kunst. Das mutet klassisch an und klingt zugleich neu. Denn diese ausufernden, flächigen Rückkoppelungen, dieser zweistimmige Gesang, diese Lust am Klang, diese schwelgerischen Streicher – all das ist in der heutigen Popmusik reichlich ungewöhnlich.

Auf der Hülle des Albums ist eine leuchtende Qualle zu sehen, die durch ein Meer oder das All schwebt. Ein schlüssiges Bild für die Band. Unbeeindruckt von den musikalischen Entwicklungen der vergangenen Jahre bewegt sie sich voran, langsam, fließend, selbstgenügsam, erhaben. Dass diese Qualle wirklich berauschende Lieder schreibt, macht Amorine Queen umso besser. Manche Stücke, Soft The Hard Way etwa, kleben sich binnen Sekunden im Gedächtnis fest, beschwipsen geradezu, fordern stummes Lauschen.

So klingt eine vollendete Wiederkehr.

„Amorine Queen“ von 18th Dye ist auf CD und LP erschienen bei Crunchy Frog/Cargo.

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Graf von Hose lässt bitten

James Pants kommt aus einem Kaff, er schwitzt nicht, ist weder schwarz noch schwul. Und doch gelingt ihm auf „Welcome“ das Kunststück, dem Disco-Funk neues Leben einzuhauchen.

James Pants Welcome

Barry Lyndon ist ein Springinsfeld, der den Zufall auf seine Seite zieht und sich durch die Absurditäten des Lebens zu mogeln weiß. Er ist der Held des gleichnamigen Films von Stanley Kubrick aus dem Jahr 1975. Der Film ist komisch und detailverliebt. 3000 Kerzen ließ Kubrick leuchten, um künstliches Licht zu vermeiden. Die goldenen Locken des Helden sollten in schummriger Wärme abgebildet werden. Mit dem Charme einer Putte und Kraft seiner Lenden gelangt Lyndon in die feine Gesellschaft, geschickt passt er sich den Gegebenheiten an.

Der Barry Lyndon des Jahres 2008 heißt James Pants. Er ist Musiker und kommt aus Spokane, Washington. Irgendwie hat er seine Demoaufnahmen nach L.A. geschmuggelt, zufällig hat ein Plattenboss ein Ohr riskiert. Demos aus der Kleinstadt werden meist ungehört entsorgt, schließlich ist Spokane nicht Seattle und schon gar nicht New York.

Sein Debütalbum Welcome nährt sich vom Disco-Funk nach Art von Larry Levan, Arthur Russell und ESG. Sambaesque Kuhglocken, verhallende Stimmen und treibende Rhythmen tönen direkt aus der goldenen Zeit des New Yorker Hedonismus hinüber. In dieser Musik kommen lauter hässliche Elemente zu etwas Wunderschönem zusammen, nie läuft sie schnöde durch.

Mit lässig übergeschlagenen Beinen blickt Pants uns entgegen. Sein Schneider geht auf Nadelstreife, Pants ist so blass, dass man ihm einen Apfel reichen möchte. Selbst im härtesten Macho weckt dieser Mann Muttergefühle. Er schwitzt nicht, er ist weder schwarz noch schwul – weshalb also gelingt ihm dieses musikalische Kunststück?

Chuzpe sei Dank, macht Pants aus längst Dagewesenem etwas Eigenes. Er fremdelt ein bisschen in der Disco, sicher ist er Hypochonder. Den Funk fasst er nur mit der Pinzette an, legt ihn ein in Salzsäure. Seine Finger bedienen 3000 Tasten. Besser: Seine 3000 Finger bedienen Tasten. An Klavieren und alten Synthesizern, deren Klangspektrum er mannigfaltig zur Schau stellt. Immer wieder leiten geräuschhafte Brücken zum nächsten Stück über und erzählen noch eine kleine Geschichte. Solche Auslassungen in Miniaturform ziehen den Eingelullten in den Groove zurück.

Heute würde man Kubricks Barry Lyndon wohl einen Dandy nennen. Früher hätte es der Amerikaner Pants vielleicht zum Adelstitel Graf von Hose geschafft. Er ist ein wahrer Könner. Seine Musik ist so tanzbar und vielfältig, dass man sich gleich acht Füße wünscht, um sie Tentakeln gleich übers Tanzparkett zu wirbeln.

„Welcome“ von James Pants ist auf CD und LP erschienen bei Stones Throw/Groove Attack.

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