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Karl Dall auf Jamaika

Über die Jahre (42): Das Debütalbum von Wareika Hill Sounds bringt verschiedene Orte, Spielarten und Zeiten zusammen, ohne dass man ihm den Jetlag der Weltreise anmerkt

Ein Jazzclub, auf der Bühne stehen jamaikanische Rastafaris in Nadelstreifen. Ihre Filzlocken sind pomadig gescheitelt. Der Bass spielt Reggae, die Bläser swingen, als kämen sie aus den zwanziger Jahren, prägnant und aufregend. Tony Allen und die Africa 70 betreten die Bühne und spendieren Afrobeat.

Später verlässt die Band den Club, die Menschen folgen ihr nach draußen, und die Party geht auf der Straße weiter. Die Marching Band zieht um die Blöcke. Wo sind wir eigentlich? In Kingston, New Orleans, Lagos oder New York? Und in welchem Jahr noch gleich? Musik kann einen ganz schön durcheinander bringen.

Die Rastafaris nennen sich Wareika Hill Sounds, ihr Debütalbum aus dem Jahr 2007 bringt Orte, Spielarten und Zeiten zusammen, ohne dass man ihm den Jetlag der Weltreise anmerkt. Der Kopf der Band ist der jamaikanische Posaunist Calvin „Bubbles“ Cameron. Zugegeben, die Posaune ist kein typisches Instrument des Reggae. Doch dies ist auch kein gewöhnliches Album. Die Bässe drücken, die Bläser schweben, eine Orgel flimmert, das Schlagwerk spielt tanzbar. Das sind doch bewährte Muster? Wie entsteht daraus derart Originelles?

Den Wareika Hill Sounds ist selbst das Mischpult ein Instrument. Ihre Aufnahmen sind räumlich, die Techniken des Dub verschieben die Wahrnehmung, verzerren die Wände. In diesem expressionistischen Klangbild weiß auch der Hörer bald nicht mehr, wo er sich befindet.

Nur wenn die Herren aus Wareika singen, dann wird es erschreckend simpel: „Jamaica is Reggae-Land. We play music and have fun.“ Das klingt nach alten Urlaubsfilmen von Karl Dall. Aber Schwamm drüber – sie singen ja kaum.

Das unbetitelte Debütalbum von Wareika Hill Sounds ist im Jahr 2007 auf CD und LP bei Honest Jon’s/Indigo erschienen.

Weitere Beiträge aus der Serie ÜBER DIE JAHRE
(41) Dennis Wilson: „Pacific Ocean Blue“ (1977)
(40) Klaus Nomi: „Nomi“ (RCA/Sony 1981)
(39) GAS: „Nah und Fern“ (Kompakt/Rough Trade 2008)
(38) Liquid Liquid: „Slip In And Out Of Phenomenon“ (2008)
(37) Nick Drake: „Fruit Tree“ (1979)

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Klingeln im Origami-Saustall

DJ Scotch Egg zwängt Bach, Free Jazz und Stockhausen in seinen Gameboy und unterlegt das Gequängel mit harten Rhythmen. Unerträglich? Von wegen! Es macht sogar Spaß

Drumized DJ Scotch Egg

Elvis ist tot. Johann Sebastian Bach lebt. Er ist Japaner, wohnt in England und spielt leidenschaftlich Gameboy. Am Wochenende fährt er gerne mal nach Rotterdam und treibt sich auf Gabber-Partys herum. Gabber, das ist knallharter Techno, der Klang des Weltuntergangs.

Schuhe aus – hier kommt DJ Scotch Egg! Er ist weder Schotte noch DJ. Wahrscheinlich ist er nicht einmal ein Ei. Dafür ist er Vertreter einer Musikgattung, die sich KFC-Core nennt – in Anlehnung an den Hühnchen-Schnellbrater Kentucky Fried Chicken. Wer will uns denn so in die Irre führen? Es ist Shigeru Ishihara, ein in Brighton gestrandetes Schlitzohr. Wäre er Architekt, er würde Brücken bauen.

Er liebt die Bach’sche Fuge, die Metal-Experimente des John Zorn, den Free Jazz, Karlheinz Stockhausens abrupte Klangfarbenwechsel und den Klingelton. Seine Musik komponiert DJ Scotch Egg am Gameboy. Sie hört sich an, als spielte man mit zwei Fingern in der Steckdose ein Computerspiel, während nebenbei der Fernseher läuft, das Handy klingelt, ein Baby schreit und der Nachbar seine Leidenschaft für den Schlagbohrer entdeckt. Einige werden es Folter nennen, für andere ist es Pop mit durchgedrücktem Gaspedal. DJ Scotch Eggs Album Drumized dauert keine 27 Minuten. Wenn es ausklingt, ist es, als sei ein Spuk vorbei.

Im Musikvideo zu Scotch Hausen posiert Ishahara als Dirigent eines Daddel-Orchesters. Anstelle von Geigen und Bratschen haben die Musiker Gameboys in der Hand. Eine Eintagsfliege? Von wegen: Drumized ist bereits sein viertes Album, er hat viele Anhänger und ist dauernd auf Tournee. Von Roskilde bis Lowlands trat er bei allen großen Festivals auf, denn sein Klang fasziniert Tausende. Unerträgliches macht plötzlich Spaß, wenn der DJ mit vier seiner Klingelkisten hantiert. Die gesunde Mischung aus Akribie und Freiheit, Dreistigkeit und Humor ist seine Kunst. Ein Origami-Saustall. Game Over.

»Drumized« von DJ Scotch Egg ist als CD und LP erschienen bei Load Records.

Weitere Beiträge aus der Kategorie TECHNO
Minilogue: »Animals« (Cocoon Recordings 2008)
Francesco Tristano: »Not For Piano« (Infiné/Discograph 2007)
Cobblestone Jazz: »23 Seconds« (!K7/Wagonrepair 2007)
Michaela Melián: »Los Angeles« (Monika 2007)
Chloé: »The Waiting Room« (Kill The DJ Records 2007)

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Karierte Stolpermusik

Franz Ferdinand waren so begeistert von der Gruppe Kamerakino, dass sie sie mit auf Tour nahmen. Nun besingt die postkommunistische Wanderkapelle ihre Heimatstadt: »Munich Me Mata«.

Kamerakino Munich Me Mata

Es gibt Alben, die bringen den Kopf zum Platzen. Das neue Werk der Münchner Gruppe Kamerakino sollte man sparsam dosieren. Zweimal am Tag kann man es hören, jedes weitere Mal ebnet den Weg in die Irrenanstalt. Der Autor bleibt im Duden auf der Seite mit dem Buchstaben K hängen – fassungslos. »Oh meine Hände!« krakeelt Sänger Pico B. mit kehliger Renitenz, es ist der Beginn einer lyrischen Achterbahnfahrt.

Grenzdebiler Kretinismus* entpuppt sich als assoziativer Tiefenrausch. Doppelbödige Tiefstapelei gen Erdmittelpunkt nennen es die einen, die anderen verwenden ein Wort aus der Babysprache und sagen dann Dada dadazu. »Geile Finger« voraus – Sindelfinger und Krähwinkler* können gemächlich strawanzen – München rennt!

Anhalten und loslaufen – nach einer Weile kommt man ins Stolpern. Macht man es mit Instrumenten, kommt Stolpermusik heraus. Aber Pico hat hierfür schon die besseren Worte:

»Wenn ich meine eigenartige Lampe begrüß, dann tu ich das ohne Zwaaaang« – ja, lieber Pico. Gut, dass wir mal darüber gesprochen haben. Denn es lohnt sich. »Today I’m not available, you can call me later. Heute hab ich keinen Empfang, bin außerhalb der Zone, aber morgen ist ein Großempfang – im Haus des Bürgermeisters!«

Die Geige täuscht Frieden vor. Kamerakinos Tarnung ist die einer postkommunistischen Wanderkapelle. Doch für Brecht-Abende taugen sie nicht. Ihr Gestus ist zu kariert. Oder wie es in der Presseinfo heißt: »Die Indie-Popband Franz Ferdinand aus Glasgow, Superstars der Stunde, kürte Kamerakino zu ihrer Lieblingsband und nahm sie mit auf Tournee. So kam es, dass Kamerakino in der Wiener Arena vor 15.000 Zuhörern spielte. Gerade bei diesen Großveranstaltungen übte Kamerakino mit einer nihilistischen Punk-Attitüde eine äußerst polarisierende Wirkung aus.« Agitation ins Nichts. Krambambuli* für Krallenfrösche. Und solche finden sich kaum auf Konzerten von Franz Ferdinand.

Vier bis sieben begnadete Musiker haben sich dieser musikalischen Krankensalbung verschrieben. Der Patient heißt Verstand. Er wird lebendig zu Grabe getragen, nach zehn Minuten wieder hervorgeholt. Chefarzt Pico B. erinnert an Adriano Celentano, wenn er gebeugten Hauptes dem Patienten auf die Schulter klopft und sagt: »War doch nicht so schlimm?«

*Kretinismus = mit körperlicher Missgestaltung verbundener hochgradiger Schwachsinn
*Krähwinkler = spießbürgerlicher Mensch aus der Provinz
*Krambambuli = Danziger Wacholderschnaps

»Munich Me Mata« von Kamerakino ist als CD und LP bei New!Records erschienen.

Weitere Beiträge aus der Kategorie ROCK
Wire: »Object 47« (Pink Flag/Cargo 2008)
Marc Ribot’s Ceramic Dog: »Party Intellectuals« (Yellowbird/Soulfood Music 2008)
Tricky: »Knowle West Boy« (Domino Records/Indigo 2008)
The Kills: »Midnight Boom« (Domino Records/Indigo 2008)
The Charlatans: »You Cross My Path« (Cooking Vinyl/Indigo 2008)

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Wasser in die Glut

Mit Massive Attack und Portishead kam Mitte der Neunziger auch der Rapper Tricky zu Ruhm. Nun erscheint sein neues Album »Knowle West Boy« – ein dröhnendes Manifest der Unzufriedenheit.

Tricky West Knowle Boy

Der Journalismus gerät oft in die Zwickmühle verschiedener Interessen. Das ist in der Politik und der Mode nicht anders als in der Musik.

Was hat das mit Tricky zu tun? Vorfreudig bestellt der Journalist ein Vorabexemplar von Trickys neuem Album Knowle West Boy. Von dessen Plattenfirma erhält er eine prompte Antwort: Man habe Rezensionen des Autoren gelesen, da seien ja manche Platten nicht so gut weggekommen. Obwohl diese zwar von anderen Firmen veröffentlicht wurden und mit Tricky nichts zu tun hatten, sehe man doch von einer Bemusterung ab. Das Album solle Schreibern zukommen, die sich »auch wirklich freuen«, nur ungern würde man »Verrisse riskieren«.

Moment mal: Werden Journalisten nach ihrer Willfährigkeit und Kritikunfähigkeit ausgewählt? Oder steht die Plattenfirma nicht zu ihrer Produktion?

Zu Musik kann man tanzen, weinen und trinken. Man kann über sie streiten und von ihr schwärmen. Man kann sie lieben und auch hassen, denn Musik vermittelt Identität. Die Musikindustrie ist ins Straucheln geraten, sie sollte nicht den Fehler begehen, den Journalismus als verlängerten Arm ihres Marketings anzusehen. Das wäre schlimm, es läse sich wohl etwa so: »Die TripHop-Legende Tricky ist zurück mit dem Album des Jahres.« Weder dem Leser noch der Musik wäre ein Dienst erwiesen.

Musik wirft Fragen auf. Und man kann sie sich von Freunden ausleihen. Mittlerweile ist die Vorfreude des Rezensenten zwar erloschen, aber die war ja auch schon ein Vorurteil. Fangen wir also bei Null an.

Knowle West Boy nimmt dem Kritiker die Lust auf Bewertung. So ist das mit Trickys Alben. In seiner Musik wohnen das Seltsame und das schwer Fassbare, er hantiert mit dem Abgedroschenen. Sie ist gespalten – zwischen Uninspiriertem und Überwältigendem.

Die Materialien auf Trickys Baustelle kommen aus dem Punk, dem HipHop, dem Industrial – und unzähligen weiteren Spielarten. Anderer Musiker Leichtigkeit verwandelt Tricky in Schwere. Ähnlich wie seine Mentoren Mark Stewart und Adrian Sherwood: Sie heizten dem sonnigen Reggae solange ein, bis er zu einem flammenden Inferno wurde. Tricky kippt Wasser in die Glut. Wo es eben loderte, hängen nun Eiszapfen.

Von der Blues-Bar zum Rap der Straße sind es in Bristols Stadtteil Knowle West nur ein paar Meter. Man muss nur eben durch den Nebel, die esoterischen Schwaden durchstreifen. Das Richtungslose gehört zu Tricky wie ein Kaktus in die Wüste. Er hat das Launische in seine Musik integriert, es bietet ihm Schutz und spendet Kraft. Und nur wenn auch seine Hörer richtig unzufrieden sind, kann er granteln. Seine Musik strebt nicht nach dem Glück. In den guten Momenten des Albums steht die Zeit. In den schlechten drischt ein harter Rhythmus auf die Ohren ein. Bässe pumpen in der Magengegend. Tricky tätowiert Musik. Und das piekt auch mal.

Jemand, der dermaßen unberechenbar handelt und musiziert, kann kein Karrieremusiker sein. Nie schlachtet er seinen Ruhm aus, nie reproduziert er das Errungene. Immerneue Versatzstücke baut er in seine Lieder ein. Nur eines bleibt auch mit Knowle West Boy beim Alten: Tricky krächzt, eine Frau singt. Es ist vollkommen egal, wie lange er kein Album gemacht hat. Mit Zeit hat er nichts zu schaffen.

»Knowle West Boy« von Tricky ist als CD und LP bei Domino Records/Indigo erschienen.

Weitere Beiträge aus der Kategorie ROCK
The Kills: »Midnight Boom« (Domino Records/Indigo 2008)
The Charlatans: »You Cross My Path« (Cooking Vinyl/Indigo 2008)
18th Dye: »Amorine Queen« (Crunchy Frog/Cargo 2008)
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Aus Liebe zum Bein

Über die Jahre (38): Die New Yorker Band Liquid Liquid nahm Anfang der Achtziger großartige Lieder auf, dann zerbrach sie. Beinahe ihr gesamtes Werk ist nun auf »Slip In And Out Of Phenomenon« nachzuhören.

Liquid Liquid Slip In And Out Of Phenomenon

In der Geschichte der Musik gibt es Gruppen, die immensen Einfluss auf das Nachfolgende ausüben. Und es gibt Gruppen, die verschwinden, bevor sie überhaupt jemand bemerkt hat. Auf das New Yorker Quartett Liquid Liquid trifft beides zu. Wenige Lieder haben sie hinterlassen, doch deren Ruhm überragt den schmalen Korpus. Die Band wird zitiert, kopiert und verehrt. Einer der besten europäischen Clubs, Optimo in Glasgow, hat sich nach einem ihrer Lieder benannt.

Auf den Fotos von früher sieht man vier weiße Jungs in engen Hosen und ranzigen T-Shirts. Sie schauen aus wie großstädtische Künstler, könnten aber ebenso gut Bohrmaschinenvertreter aus New Jersey sein. Was haben diese unlässigen Typen zu tun mit HipHop, Punk und Disco? Alles und nichts. Ihre Rhythmen treiben, scheppernde Kuhglocken erinnern an den Samba, der Bass an den Funk. Der Gesang klingt in keiner Abspielgeschwindigkeit richtig, auf 33 Umdrehungen scheint die Platte zu langsam, auf 45 zu schnell.

Die Beine sagen: »Das ist Disco, Mann! Wir müssen uns bewegen, da rinnt schon Schweiß von den Haaren.« Etwas Unterhalb der Haare meldet sich das Gehirn zu Wort: »Nee, das ist Kunst! Höre auf den Puls dieser seltsamen Klänge. Was wird hier zusammengerührt? Hybrider kann Musik kaum klingen, da ist alles drin. Von Afrika bis Eurasien. Wie der Bass die Melodie führt, das ist purer Krautrock. Und die Melodica? Dub Reggae! Das ist der Schmelztigel New York. Sogar Elliott Sharp spielt bei einem Stück mit. Das ist Avantgarde!« – »Hören wir auf, dies hier in Schubladen zu versenken, tanzen wir!«, fordern die Beine. Und so geschieht es.

Anfang der Achtziger erschienen vier EPs von Liquid Liquid auf dem kleinen Label 99 Records. Die drei ersten werden nun um ein paar unveröffentlichte Lieder angereichert bei Domino Records wiederveröffentlicht, Slip In And Out Of Phenomenon nennt sich die Sammlung. Die im Büchlein zur CD abgedruckten Flugblätter zeigen, dass die Musikszene im New York der frühen Achtziger eng zusammengerückt war. Liquid Liquid spielten mit Sonic Youth, aber auch mit Pionieren des HipHop und des Electro, mit Afrika Bambaataa, den Treacherous Three und Afrika Islam. Das erklärt die Uneindeutigkeit, ja Unverfrorenheit ihres Klangs.

Warum wurde die vierte EP nicht berücksichtigt? Die Band war nicht zufrieden mit den Liedern. Und warum haben sie nie ein ganzes Album aufgenommen? Weshalb erschienen ihre Lieder in diesem Zwischenformat EP? Waren das nur Bestandsaufnahmen, die den Weg in eine jeweils andere Richtung freimachen sollten? Ein Mythos wird zum Mythos, weil er Fragen offenlässt.

Ausgerechnet ihr bekanntestes Stück wurde Liquid Liquid zum Verhängnis: Cavern wurde auf zweifelhaftem Weg vom Disco-Knüller zum Welthit. Der Rapper Grandmaster Flash und seine Furious Five ließen für ihr White Lines das Stück Cavern nachspielen und rappten dazu. An den Einnahmen wollte Flashs Plattenfirma Sugarhill weder Liquid Liquid noch 99 Records beteiligen. Deren Besitzer Ed Bahlman protestierte, wurde bedroht und prozessierte schließlich. Vor Gericht war das eine klare Sache – 99 Records gewann. Doch Sugarhill war bankrott, sie hatten das Geld längst verprasst. Die hohen Anwaltskosten und die Enttäuschung gaben Bahlman den Rest: Sein Label ging pleite und die Band zerbrach.

Im Jahr 1997 veröffentlichten die Firmen Mo’ Wax und Grand Royal Liquid Liquids Platten erneut. Bald darauf meldeten sie Konkurs an. Als läge ein Fluch auf den Platten der Band, wer sie unter die Leute bringt, geht pleite. Nun arbeitet das britische Label Domino Records liebevoll das Werk der Band auf, das ist mutig. In der CD-Version gelingt zwar die Dokumentation des Schaffens, doch gibt es wenig, was darüber hinausweist. Die LP-Ausgabe ist ganz anders angelegt, sie frönt dem Objektfetisch. In einem Schuber stecken die drei EPs in Originalhüllen, dem liegen eine CD mit Liveaufnahmen und ein Begleitheft in Postergröße bei. Das edle Stück ist für rund 20 Euro zu bekommen, Geld wird die Plattenfirma mit so etwas nicht verdienen.

Man muss Domino Records also gleich doppelt Mut bescheinigen, auch wenn sie nur aus Liebe zu den eigenen Beinen handeln.

»Slip In And Out Of Phenomenon« von Liquid Liquid ist auf CD und Dreifach-LP bei Domino Records/Indigo erschienen.

Weitere Beiträge aus der Serie ÜBER DIE JAHRE
(37) Nick Drake: „Fruit Tree“ (1979)
(36) The Sonics: „Here Are The Sonics!!!“ (1965)
(35) dEUS: „In A Bar, Under The Sea“ (1996)
(34) Miles Davis: „On The Corner“ (1972)
(33) Smog: „The Doctor Came At Dawn“ (1996)

Hier finden Sie eine Liste aller in der Serie erschienenen Beiträge.

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Ist nicht alles Gold

Und wieder hat die Musikpresse einen neuen Liebling: Santogold kommt aus Brooklyn, sie ist schwarz und selbstbewusst. Im allgemeinen Hurra hört man kaum, wie unentschlossen ihr Album klingt

Santogold

Santogold ist in aller Munde. In sämtlichen Feuilletons und Musikmagazinen wird ihr Debütalbum gefeiert. Denn sie feiern gerne, die Musikjournalisten. Fühlen wir auf die Krone: Ist Santo Gold? Oder glänzt es hier nur?

Santi White – so der bürgerliche Name der goldbehangenen schwarzen Künstlerin – schreibt hübsche Refrains. Das Album beginnt mit L.E.S. Artistes, man lässt sich mitreißen von Euphorie und Schwebe, dreht lauter. Später bei I’m A Lady bastelt sie mit einfachen Mitteln noch ein gutes Poplied. Und Santogold hat noch viel mehr vor, kaum eine moderne Spielart populärer Musik bleibt unangetastet. Ihr Album ist eine Werkschau der Vielseitigkeit.

Nur: Heißt vielseitig automatisch gut? Man könnte bemängeln, dass es Santogold an Fokussierung fehlt. Ihr Durcheinander ist zu durcheinander. Aber geht es bei solch hybrider Musik nicht genau um die Uneindeutigkeit von Stilen und Einflüssen? Warum sollte man sich auf nur eine musikalische Ausdrucksform reduzieren?

Das Problem liegt woanders. Santogold baut keine Brücken zwischen den Stilen. Ihrer Musik fehlt es an Herz. So tönt das Drama des Adepten – in zwölf Akten. Es wird gekonnt komponiert, gespielt und ausgeführt. Ein Bekenntnis aber gibt sie nicht ab, alles klingt beliebig und schwammig, seltsam kalt.

Strebsam und gelehrig ist Santi Whites Musik, ständig zerrt sie am Hörer und sagt: »Guck mal, was ich alles kann!« – aber Vielseitigkeit allein macht nicht aufregend. Dem Hören geht der Inhalt ab, Santogold bedient akustische Abziehbilder. Ihre Stimme ist biegsam und passt sich dem Musikstil an. Wenn es sein muss, klingt sie sogar wie Sheryl Crow. Bei HipHop-Stücken verwechselt man sie schnell mit M.I.A., zumal diese auch noch als Gastsängerin auftritt. Bei You’ll Find A Way klingt’s nach Sting und seiner unseligen Polizei. Diese Aufzählung von Referenzen ließe sich fortsetzen.

Aber warum fliegen nun die Musikjournalisten dermaßen auf Santogold? Ihr Phänomen ist soziologischer Natur: Eine schwarze Frau, die angesagt und nach Ghetto aussieht, sich aber auf weiße Rockmusik bezieht. Led Zeppelin und die Talking Heads nennt sie als ihre Einflüsse, das verleiht ihr den Nimbus der Aufgeklärten. Oder wie es die Frankfurter Rundschau ausdrückt: »Ghetto war gestern, hier kommt eine kluge schwarze Frau und macht Crossover-Avantgarde in Form mitreißender Popsongs.« Dabei will Santi White eigentlich Schluss machen mit dem musikalischen Rassismus und ihre Lieder für sich sprechen lassen. Wieso verwehrt man ihr das und sortiert sie ins abgegriffene Muster?

Zuviel des Lorbeers schadet der Künstlerin. Vom nächsten großen Ding kann sie schnell zum nächsten grandiosen Opfer der Erwartungshaltungen werden. Entkrampften sich alle Beteiligten ein bisschen, könnten wir uns auf Santogolds kommende Alben richtig freuen.

Das Debütalbum von Santogold ist als CD und LP bei Lizard King Records/Rough Trade erschienen.

Die Popsensation des Jahres? Lesen Sie hier das große Santogold-Porträt von Frank Sawatzki »

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Death Cab For Cutie: „Narrow Stairs“ (Atlantic/Warner Music 2008)
Bernadette La Hengst: „Machinette“ (Trikont/Ritchie Records 2008)
JaKönigJa: „Die Seilschaft der Verflixten“ (Buback 2008)
Scarlett Johansson: „Anywhere I Lay My Head“ (Warner Music 2008)
The Notwist: „The Devil, You + Me“ (City Slang 2008)

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Graf von Hose lässt bitten

James Pants kommt aus einem Kaff, er schwitzt nicht, ist weder schwarz noch schwul. Und doch gelingt ihm auf „Welcome“ das Kunststück, dem Disco-Funk neues Leben einzuhauchen.

James Pants Welcome

Barry Lyndon ist ein Springinsfeld, der den Zufall auf seine Seite zieht und sich durch die Absurditäten des Lebens zu mogeln weiß. Er ist der Held des gleichnamigen Films von Stanley Kubrick aus dem Jahr 1975. Der Film ist komisch und detailverliebt. 3000 Kerzen ließ Kubrick leuchten, um künstliches Licht zu vermeiden. Die goldenen Locken des Helden sollten in schummriger Wärme abgebildet werden. Mit dem Charme einer Putte und Kraft seiner Lenden gelangt Lyndon in die feine Gesellschaft, geschickt passt er sich den Gegebenheiten an.

Der Barry Lyndon des Jahres 2008 heißt James Pants. Er ist Musiker und kommt aus Spokane, Washington. Irgendwie hat er seine Demoaufnahmen nach L.A. geschmuggelt, zufällig hat ein Plattenboss ein Ohr riskiert. Demos aus der Kleinstadt werden meist ungehört entsorgt, schließlich ist Spokane nicht Seattle und schon gar nicht New York.

Sein Debütalbum Welcome nährt sich vom Disco-Funk nach Art von Larry Levan, Arthur Russell und ESG. Sambaesque Kuhglocken, verhallende Stimmen und treibende Rhythmen tönen direkt aus der goldenen Zeit des New Yorker Hedonismus hinüber. In dieser Musik kommen lauter hässliche Elemente zu etwas Wunderschönem zusammen, nie läuft sie schnöde durch.

Mit lässig übergeschlagenen Beinen blickt Pants uns entgegen. Sein Schneider geht auf Nadelstreife, Pants ist so blass, dass man ihm einen Apfel reichen möchte. Selbst im härtesten Macho weckt dieser Mann Muttergefühle. Er schwitzt nicht, er ist weder schwarz noch schwul – weshalb also gelingt ihm dieses musikalische Kunststück?

Chuzpe sei Dank, macht Pants aus längst Dagewesenem etwas Eigenes. Er fremdelt ein bisschen in der Disco, sicher ist er Hypochonder. Den Funk fasst er nur mit der Pinzette an, legt ihn ein in Salzsäure. Seine Finger bedienen 3000 Tasten. Besser: Seine 3000 Finger bedienen Tasten. An Klavieren und alten Synthesizern, deren Klangspektrum er mannigfaltig zur Schau stellt. Immer wieder leiten geräuschhafte Brücken zum nächsten Stück über und erzählen noch eine kleine Geschichte. Solche Auslassungen in Miniaturform ziehen den Eingelullten in den Groove zurück.

Heute würde man Kubricks Barry Lyndon wohl einen Dandy nennen. Früher hätte es der Amerikaner Pants vielleicht zum Adelstitel Graf von Hose geschafft. Er ist ein wahrer Könner. Seine Musik ist so tanzbar und vielfältig, dass man sich gleich acht Füße wünscht, um sie Tentakeln gleich übers Tanzparkett zu wirbeln.

„Welcome“ von James Pants ist auf CD und LP erschienen bei Stones Throw/Groove Attack.

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„Funky Nassau – The Compass Point Story 80-86“ (Strut/Alive 2008)
„Disco Not Disco“ (Strut/!K7 2008)
Marcus Miller: „Free“ (Dreyfus Records/Soulfood Music 2007)
Medeski Scofield Martin & Wood: „Out Louder“ (Emarcy/Universal 2007)
Nik Bärtsch: „Stoa“ (ECM 2006)

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Ein Bär gibt den Halunken

Guilty Simpson aus Detroit haucht dem amerikanischen Gangsta-Rap neues Leben ein. Wuchtig kommen seine Reime daher, im Hintergrund sorgt der Produzent Madlib für eine beeindruckende Geräuschkulisse.

Guilty Simpson Ode To The Ghetto

Während der deutsche Gangsta-Rap erblüht, hängen die amerikanischen Reimer angezählt in der Ringecke. 50 Cent verkauft weniger Platten als zuvor, der Pionier Dr. Dre bekommt seit Jahren kein Album fertig. Haben die Amerikaner genug von der Schießwut und dem martialischem Gestus? Oder sind die Anhänger von früher heute einfach zu alt? Hört man 50 Cents Album Curtis, offenbart sich auch eine kreative Krise: Es fehlt der Schwung, der spielerische Umgang mit der Musik. Diesem reimenden Roboter kauft man den Halunken nicht ab.

Andere können es doch noch: Richtig guten Gangsta-Rap bringen nun ausgerechnet die Freigeister des kleinen Labels Stones Throw aus Los Angeles auf die Plattenteller. Sie lieben die Musik, um Schubladen scheren sie sich nicht. Und sie haben ein Herz für Gangsta-Rap – als Kunstform selbstverständlich.

Guilty Simpsons Reime kommen daher wie Schläge einer Bärenpranke, behäbig und wuchtig. Zur Partyrakete taugt er nicht, dafür ist sein Vortrag zu monoton. Er berichtet auf Ode To The Ghetto vom Leben in Detroit, von Kriminalität und verworrenen Frauengeschichten. Seine Worte verwandeln sich zu Bildern, er ist ein hervorragender Erzähler. Jeder Anflug von Tristesse wird von der aufwühlenden Produktion unterbunden: Madlib wirft mit Bollywood-Samples um sich, sein Bruder Oh No würzt das Titelstück mit türkischem Funk. Synthesizer dröhnen düster, und Klangwelten kollidieren. Es ist einiges los im Hintergrund. Guilty Simpson plappert unbeeindruckt über diese Geräuschkulisse.

Gegen Langeweile ist der Hörer auch hier nicht gefeit, manches Mal sind sich Rap und Musik zu einig. Kraft schöpft Ode To The Ghetto aus seinen Gegensätzen. In den besten Momenten dringt eine surreale Bedrohung aus den Lautsprechern, sorgt das Widersprüchliche für ein Gefühl der Beklemmung. Die Menschen von Stones Throw haben recht: Gangsta-Rap ist eine Kunstform – fast hätten wir’s vergessen.

„Ode To The Ghetto“ von Guilty Simpson ist als CD und LP bei Stones Throw/Groove Attack erschienen.

Weitere Beiträge aus der Kategorie HIPHOP
„An England Story“ (Soul Jazz Records/Indigo 2008)
Buck 65: „Situation“ (Warner 2008)
Missill: „Targets“ (Discograph/Rough Trade 2008)
Percee P: „Perseverance“ (Stones Throw 2007)
Common: „Finding Forever“ (Geffen/Universal 2007)

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Lass das Jammern, Eule!

Nach zehnjähriger Pause kehren Portishead mit „Third“ zurück. Leicht könnte man die reizvollen Stücke lieben, käme einem nicht Beth Gibbons’ selbstmitleidiger Gesang immer wieder in die Quere.

Portishead Third

In schwierigen Situationen lernt man viel über seine Freunde. Gute Freunde geben Rat, wenn es einem schlecht geht. Sie zeigen Auswege. Schlechte Freunde tun so, als seien sie gute Freunde. Sie bestätigen den Leidenden in seiner Malaise und wenden sich ab, wenn man selbst einen Ausweg findet. Schlechte Freunde suchen den Mitleidenden.

Diese CD ist ein schlechter Freund.

Das Drama des begabten Kindes – es geht in eine neue Runde. Meine Damen und vor allem Herren: Es darf gejammert werden, nach Herzenslust. Portishead sind zurück, Third heißt ihr erstes Werk nach einer zehnjährigen Pause. Beth Gibbons eulenhafte Stimme bedient wieder die Phantasie vom traurigen Clown. Schon im zweiten Lied Hunter jault sie „If I should fall, would you hold me?“ Weiße Pferde tragen sie hinfort. Das ganze Album ist voll von solch armseliger Prosa. „Empty in our hearts, crying out in silence“ – die Dichtung ist kitschig, wie ein Harlekin auf dem Sofa. Billige Helferfantasien werden animiert, Gibbons schminkt die Wasserleiche. Der Hörer möchte sie trösten oder sich mit ihr im Unglück suhlen. Was ist so schön daran? Was macht den Wirbel um die Band Portishead aus?

Zugegeben, sie wissen, wie man ein Album produziert. Die Klänge sind eigenartig, die Rhythmen trocken. Die Musik ist dynamisch und spannend, sie umgibt eine Aura. So originell wie behauptet wird, ist das alles nicht. Für das Stück We Carry On sollten sie Geld an die Silver Apples überweisen. Deren Stücke You And I und Oscillations aus den späten Sechzigern werden hier einfach kopiert. Gut kopiert immerhin. So verführt das Flimmern und Brummen der Synthesizer immer wieder zum Hinhören. Beth Gibbons Stimme liegt transzendent darüber, ihr Selbstmitleid macht alles kaputt. Frei von Selbstironie und vollkommen humorlos postuliert sie die Gebote der Düsternis.

Brrrr.

Wenn alle Ideen in eine Richtung gehen, wird’s langweilig. Hier ist kein Bruch, keine Hoffnung. Alles kreist um sich selbst. Beschwingter Reggae ist gewiss keine Alternative, aber beim Hören von Third wünscht man ihnen den Abschied vom Schwindsüchtigen und den Aufbruch zu neuen Themen.

Lesen Sie hier die Rezension von Thomas Groß

„Third“ von Portishead ist als CD und LP bei Island/Universal erschienen.

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Gnarls Barkley: „The Odd Couple“ (Warner 2008)
Taunus: „Harriet“ (Ahornfelder 2008)
Billy Bragg: „Mr. Love & Justice“ (Cooking Vinyl 2008)
Adele: „s/t“ (XL Recordings/Beggars Banquet 2008)
Vampire Weekend: „s/t“ (XL Recordings/Beggars Banquet 2008)

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Unterwasserbetrinken

Über die Jahre (35): Als in den neunziger Jahren die Musikszene Antwerpens explodierte, gelang es nur der Band dEUS, außerhalb der Grenzen Belgiens bekannt zu werden. Ihr zweites Album war ihr bestes: „In A Bar, Under The Sea“.

Deus In A Bar Under The Sea

In den Neunzigern war die Stadt Antwerpen ein Quell musikalischer Kreativität. Im Wochentakt sprudelten erfrischende neue Alben in die belgischen Plattenläden. Die Musik von Bands wie Kiss My Jazz, Evil Superstars, Moondog Jr., Think Of One, Lionell Horrowitz And His Combo und Die Anarchistische Abendunterhaltung klang so eigensinnig wie ihre Namen. Wer sie sehen wollte, musste zu ihnen kommen, wenige schafften es nach Deutschland. Viele stellten in Antwerpens Muziekdoos den Hut hin und spielten für Kleingeld.

Allein die Band dEUS wurde auch außerhalb Belgiens bekannt. Mit Suds & Soda landeten sie im Jahr 1994 einen Hit, von ihrem Debütalbum Worst Case Scenario verkauften sie weltweit rund 200.000 Stück. Dabei bestanden dEUS aus den gleichen Musikern wie all die anderen Bands. Die Musikszene Antwerpens schien aus kaum mehr als 30 Leuten zu bestehen, die sich in immerneuen Projekten zusammenfanden. Diese 30 Musiker gründeten so etwa 100 Bands. Welch ein Hühnerhaufen!

Die beiden kreativen Köpfe bei dEUS waren Tom Barman und Stef Camil Carlens. Barman gab den Sänger, der nicht singen kann, aber immerhin eine verrauchte Stimme hat. Er schrieb all die irren Lieder der Band, in denen sich Wohlklang und Narration mischten. Nebenbei arbeitete er als Filmregisseur. Carlens war der Mann fürs Grobe, mit einer Hand an der Quietscheente. Er krächzte, kreischte und spielte einen eleganten Bass. Sein kindliches Temperament stand der Ernsthaftigkeit Barmans entgegen. Carlens verließ dEUS im Jahr 1996, kurz nachdem sie ihr zweites Album In A Bar, Under The Sea aufgenommen hatten. Heute ist er Chansonnier mit einem Hang zur Weltmusik.

In A Bar, Under The Sea klingt, als hätten sich von der Sonne Enttäuschte in eine Bar am Meeresgrund zurückgezogen und sich fröhlich betrunken. Im Sinne Captain Beefhearts basteln sie Lieder aus Versatzstücken und Zitaten, wunderschönen Pop garnieren sie mit Defektem. Die Anlehnungen an Beefhearts Musik sind offensichtlich: Das grummelnde Theme From Turnpike löst sich in manischem Getrommel auf, es folgt Little Arithmetics, ein luftiger Popsong der sich wiederum tösend zerfasert. In dieser Bar läuft die Uhr auch mal seitwärts. Hier unten haben dEUS ein vielseitiges Album ersonnen, noch heute überrascht ihre Liebe zum Detail. Die Klangfarbe ist bunt, jeder Stil wird angespielt und mit einem Sinn für die Dramaturgie ins stimmige Ganze eingebaut. Das elegische Präfinale Dissapointed In The Sun erklärt dann gar das Gelage im kalten Nass.

Wie man mit solcher Musik zu Weltruhm gelangt, bleibt das Geheimnis der Band. Die Siebziger waren immerhin lange vorbei, als In A Bar, Under The Sea erschien. dEUS gibt es noch heute, dieser Tage erscheint ihr neues Album Vantage Point. Neben Tom Barman ist von damals nur noch der Keyboarder Klaas Janzoons dabei.

„In A Bar, Under The Sea“ von dEUS ist im Jahr 1996 bei Island/Universal erschienen.

Weitere Beiträge aus der Serie ÜBER DIE JAHRE
(34) Miles Davis: „On The Corner“ (1972)
(33) Smog: „The Doctor Came At Dawn“ (1996)
(32) Naked Lunch: „This Atom Heart Of Ours“ (2007)
(31) Neil Young: „Dead Man“ (1996)
(30) The Exploited: „Troops Of Tomorrow“ (1982)

Hier finden Sie eine Liste aller in der Serie erschienenen Beiträge.

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