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Der traurigste Samba der Musikgeschichte

Über die Jahre (5): Im August widmet sich der Tonträger Platten aus vergangenen Tagen. Heute: Chico Buarque, der 1971 Samba und Bossa nutzte, um pointierte Kritik an Brasiliens Militärdiktatur zu üben

Cover Chico Buarque

Es ist 1971, Chico Buarque ist gerade aus dem italienischen Exil in seine Heimat Brasilien zurückgekehrt. Die Bedingungen unter der Militärdiktatur haben sich verschlechtert. Offene Kritik ist unmöglich, es herrscht die Zensur. Unter diesem Eindruck nimmt Chico Buarque ein Album auf, das deutlich düsterer ist, als seine vier Vorgänger: Construção.

Seite eins ist dominiert von komplizierten und dichten Texten und ausladenden, raffinierten Arrangements in Moll. In Cotidiano (Alltag) klingt Buarque resigniert. Der Song schildert aus der Perspektive eines Arbeiters die Monotonie des Alltags. Leitthema sind die wiederkehrenden Küsse seiner Frau, die gleichzeitig einen Hinweis auf ihr ebenso monotones Leben geben und ihre verzweifelten Versuche, auszubrechen. Am Ende wird die erste Strophe wiederholt, alles beginnt von vorne. Es folgt Desalento, der wohl traurigste Samba der Musikgeschichte. Stand der Samba in Buarques Werk bisher für Gemeinschaft und Lebensfreude, kommuniziert er hier nur Isolation und Absturz.

Das Titelstück Construção handelt vom Tod eines Bauarbeiters. Begleitet von bedrohlich wirbelnden Streicherfiguren und brutalen Bläsersätzen ist es eine Kritik an den schlechten Arbeitsverhältnissen im Land. Während der Tod lediglich eine Irritation im Ablauf des Alltags verursacht, bringt er die Strophen Buarques nachhaltig durcheinander. Am Ende des Stücks steht die Wiederholung von Textteilen aus dem Anfangsstück Deus Lhe Pague (Gott vergelt’s ihnen), eine poetisch verschlüsselte Anklage der Passivität der Menschen unter der Militärdiktatur. Dieses Wiederaufgreifen von Themen verleiht der ersten Seite des Albums einen Suite-artigen Zusammenhang. Dagegen nimmt sich die zweite Seite fast konventionell aus. Die Bossa- und Sambastrukturen werden aber auch hier von subtilen Dissonanzen und unterschwelliger Resignation im Vortrag unterwandert.

Construção ist ein Meilenstein der Popmusik, der Pet Sounds von den Beach Boys in seinem harmonischen Einfallsreichtum und der Raffinesse der Arrangements mindestens ebenbürtig ist. Lyrisch hingegen ist die Platte überlegen. Die pointierte Kritik wird in eine poetische, von gewitzten Wortspielen durchzogene Sprache transformiert, die den konkreten Anlass transzendiert.

Das Klischee von der ungebrochenen Leichtigkeit und Unbeschwertheit der zugrunde liegenden Formen wie Samba und Bossa Nova ist ein für alle mal zerstört. Und doch ist Construção nie erdrückend schwermütig. Man kann die zahlreichen Subtexte auch ignorieren – zumal wenn man des Portugiesischen nicht mächtig ist – und sich am musikalischen Reichtum berauschen.

„Construção“ von Chico Buarque ist als CD erhältlich bei Emarcy/Universal

Hören Sie hier „Desalento“

Weitere Beiträge aus der Serie ÜBER DIE JAHRE
(4) The Mothers of Invention: „Absolutely Free“ (1967)
(3) Soweto Kinch: „Conversations With The Unseen“ (2003)
(2) Syd Barrett: „The Madcap Laughs“ (1970)
(1) Fehlfarben: „Monarchie und Alltag“ (1980)

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Gemüse zum Mitschnippen

Über die Jahre (4): Im August widmet sich der Tonträger Platten aus vergangenen Tagen. Heute: Das zweite Album der Mothers Of Invention. „Absolutely Free“ ist ein wilder Ritt voller Spott und Nonsens, Collagen und krächzenden Klängen. Typisch Frank Zappa eben

Cover Freak Out

Freak Out, das erste Album von Frank Zappas Mothers Of Invention öffnete 1966 viele Ohren. Die Nachfolgerin Absolutely Free dann füllte ein Zeug in den Schädel, das bis heute vorhält. Die Platte mit der ätzenden Schwarzweißhülle enthielt bereits vieles von dem, was später Frank Zappas Gesamtwerk ausmachen sollte: Gesellschaftskritik ebenso wie Spaß am Nonsens, außerdem ein Amalgam aus Rock’n Roll, R&B, Jazz, Doo-Wop-Sounds, Barmusik, zeitgenössischer E-Musik, seltsam transponierenden Gitarrensoli und polyphonen Stimmexperimenten.

Die damalige Besetzung erlaubte es, diese Multivalenz auszuspielen: Don Preston beispielsweise experimentierte atemberaubend mit dem Moog-Synthesizer. Die anderen Mothers auf Absolutely Free waren überwiegend wilde Kerle wie der Freejazzer Bunk Gardner oder der krächzende Bluesmann Jimmy Carl Black am Schlagzeug. Richtig gute Schlagzeuger, für die Zappa einen feinen Sinn hatte, sollten erst später zur Band stoßen. Nur wenige Musiker, die mit Zappa zusammenarbeiteten, leisteten auch danach noch Bedeutendes. Preston wurde zu einem bedeutenden Musikprogrammierer, der spätere Gitarrist Warren Cucurullo hatte mit Duran Duran Erfolg und der artistische Steve Vai, bei Zappa fungierte er in den Achzigern als stunt guitar, hatte solo Erfolg.

„Ladies & Gennelmen … the President of the United States!“ – so beginnt die LP, auf der es viel um Essbares geht, um Käse, Pflaumen und Gemüse, bis dann Call any Vegetable anhebt, wieder eine Collage, teil- und fieserweise zum Mitschnippen. Sie endet mit treffsicherem Musikspott auf die Beatles, später sollten Dylan, Sting und Johnny Cash drankommen. Die Collage Plastic People regte eine tschechische Band aus dem Umfeld von Václav Havel zur Namensgebung an: die Plastic People Of The Universe, deren Verhaftung im Jahre 1977 die Charta 77 nach sich zog.

Auf der Platte ertönt auch eine sich rapide beschleunigende Kurzmelodie, die ich seit dem ersten Hören immer wieder vor mich hinpfiff, nichtsahnend. Bis ich eines Tages in eine Radiosendung mit sinfonischer Musik hineinhörte – und da war die Melodie, mit Bläsergeschmetter, wenn auch ohne Zentrifuge: Gustav Holst, das Jupitermotiv aus den Planeten. So ging es mir immer mit Zappa: Viele Facetten seiner Sachen zeigten sich erst Jahre nach der ersten Begegnung. Etwa Brown Shoes Don’t Make It, die fiese Hymne auf doofe geile Teenager, in der es an einer Stelle sehr schwarzmusikalisch im Ethnoslang heißt: „Be a joik and go t’woik“, viermal hintereinander.

Nicht ein Jahr später folgte dann die ganz große Detonation: We’re Only In It For The Money, die mit der persiflierten Sgt.-Pepper-Hülle und den legendären Zeilen: „What’s the ugliest part of your body? Some say your nose, some say your toes. But I think it’s your mind, I think it’s your mind, woo woo.“

„Absolutely Free“ von den Mothers Of Invention ist als CD erhältlich bei Ryko

Hören Sie hier „Call Any Vegetable“

Weitere Beiträge aus der Serie ÜBER DIE JAHRE
(3) Soweto Kinch: „Conversations With The Unseen“ (2003)
(2) Syd Barrett: „The Madcap Laughs“ (1970)
(1) Fehlfarben: „Monarchie und Alltag“ (1980)

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Warme Töne und elegantes Geplapper

Über die Jahre (3): Im August widmet sich der Tonträger Platten aus vergangenen Tagen. Heute: Soweto Kinch, der auf „Conversations With The Unseen“ die alte und neue schwarze Musik, den Jazz und den Rap vereint

Cover Soweto Kinch

Vor einigen Jahren sandte der britische Fernsehsender Channel 4 den amerikanischen Tenorsaxofonisten Branford Marsalis aus, die Zukunft des Jazz zu ergründen. Aufmerksam lauschte er sich quer durch die Jazzwelt, von Skandinavien bis Südamerika. Eine rechte Antwort darauf, was das neue jazz thing sei, fand er nicht.

Als er den jungen Altsaxofonisten und Rapper Soweto Kinch in London interviewte, wurde er sogar ein bisschen wütend: „Du wirst dich entscheiden müssen, Rap oder Jazz, lass dir das gesagt sein“, erklärte er dem jungen Briten, der kurz zuvor seine erste Platte aufgenommen hatte. Der widersprach höflich, Marsalis blieb unversöhnt.

Hört man Kinchs Debüt Conversation With The Unseen aus dem Jahr 2003, hofft man, er möge sich nicht entscheiden. Die Platte ist eine selbstbewusste, elegante, gelegentlich explosive Wortmeldung. Leichte, witzige, swingende Raps, in denen er trockenen Humor beweist, stehen neben energiegeladenen, modernen Jazzstücken. Überzeugend verbindet er die alte und die neue schwarze Musik.

An vielen Stellen klingen die Vorbilder durch. Kinch nimmt Charlie Parkers melodiöse Wendigkeit auf, verarbeitet sie aber auf seine Art. Das Stück Snakehips ist eine Hommage an den wenig bekannten Jazzmusiker Ken Johnson er war der erste schwarze Swingband-Leader in Großbritannien und starb 1941 beim deutschen Luftangriff auf das Café de Paris im Londoner Westend.

Conversations With The Unseen gehört zu den bemerkenswertesten Jazzplatten der letzten Jahre. Es steckt voller Ideen und wird zusammengehalten von Kinchs ebenso kräftigen wie geschmeidigen Saxofonton. Im September 2006 soll seine nächste CD erscheinen, mit deutlich gesteigertem Rap-Anteil, heißt es. Es lohnt sich, die Ohren offen zu halten.

„Conversations With The Unseen“ von Soweto Kinch ist als CD erhältlich bei Dune

Hören Sie hier „Good Nyooz“

Weitere Beiträge aus der Serie ÜBER DIE JAHRE
(2) Syd Barrett: „The Madcap Laughs“ (1970)
(1) Fehlfarben: „Monarchie und Alltag“ (1980)

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Aus der Welt gefallen

Über die Jahre (2): Im August widmet sich der Tonträger Platten aus vergangenen Tagen. Heute: „The Madcap Laughs“, das zerfaserte und wunderschöne Solodebüt des Pink Floyd-Gründers Syd Barrett

Cover Syd Barrett

„Das Portrait eines Zusammenbruchs“ sei es, schrieb ein Kritiker bei Erscheinen des Albums. 1970 war das. Pink Floyd, die Band, die Barrett einst gegründet hatte, wurde damals zum Stadion-Großereignis, ohne ihn. Und Barrett? Ein kurzes Aufflackern, zwei Soloalben, psychedelische Drogen. Er verschwand. Ein Mythos, allenfalls vergleichbar mit zwei anderen Rock’n’Roll-Opfern der sechziger Jahre: Brian Wilson und Roky Erickson. Barrett ist der mysteriöseste unter ihnen. Von seiner kurzen Phase im Rampenlicht hat er sich nie erholt. Mit Rockstar-Romantik hat das nichts zu tun. Im Juli 2006 ist er mit 60 Jahren gestorben.

Zeitlos klingt das, was uns von ihm musikalisch erhalten geblieben ist und was er mit Mitte 20 schrieb. Sein Solodebüt The Madcap Laughs ist minimalistisch. Es konzentriert in 13 Miniaturen Pop und Poesie, Licht und Schatten. Selbst in den vollkommen zerfaserten Momenten, wenn er ansetzt, abbricht, noch einmal beginnt, erstrahlt die Seele dieser Stücke. Es gibt keinen Schutzwall mehr zwischen ihm und den assoziativen Texten, zwischen Gefühl und Melodie. Die Songs sind das Abbild einer aus den Fugen geratenen Innenwelt. Seine Stimme wirkt entrückt. Ob es auch seine Seele ist?

Es mag bessere Gitarristen und Sänger in den späten Sechzigern gegeben haben, an Ausdruck und Innovationskraft können es wenige mit Barrett aufnehmen. Die repetitiven, verzerrten Gitarrenlinien, rückwärts abgespielten Tonspuren und kindlich-spielerischen Melodien haben die Zeit überdauert. Die Nachwirkungen sind noch heute zu spüren: bei der Weird Folk Szene um Devendra Banhart, bei Julian Cope und seinem entrückten Album Fried, bei Robin Hitchcock und zahllosen Vertretern der britischen Popschule, von Damon Albarn bis hin zu The Kooks.

Wer Dark Globe, Feel oder If It’s In You heute hört, spürt noch das Flackern, das Barrett heimgesucht haben muss. Golden Hair, zwei zarte Minuten mit den Worten des Dichters James Joyce, und das psychedelisch experimentierfreudige No Good Trying wirken gefestigter. Late Night, das letzte Stück des Albums, ist eines der schönsten Liebeslieder überhaupt – Sehnsucht im Schlepptau. „Tief drinnen fühle ich mich ganz allein und unwirklich“, singt Barrett darin, „und die Art, wie du küsst, wird immer etwas ganz Besonderes für mich sein“. Es ist der Schlusspunkt einer psychedelischen Pop-Reise, die Barrett wenig später im Haus seiner Mutter in Cambridge nur noch als einen Bestandteil seiner Vergangenheit betrachtete.

Es führte kein Weg zurück. Nicht zu Pink Floyd, nicht zur Popmusik. Gegärtnert haben soll er in den Jahren danach und große Gemälde angefertigt, die er anschließend zerstörte. „I know where Syd Barrett lives“, sang Dan Treacy mit seiner Band Television Personalities in den frühen Achtzigern. Es ist nicht mehr länger Cambridge…

„The Madcap Laughs“ von Syd Barrett ist als CD erhältlich bei Capitol/EMI

Hören Sie hier einen Ausschnitt aus „No Good Trying“

Weitere Beiträge aus der Serie ÜBER DIE JAHRE
(1) Fehlfarben: „Monarchie und Alltag“ (1980)

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Schon verloren!

Über die Jahre (1): Im August widmet sich der Tonträger Platten aus vergangenen Tagen. Heute: Die Fehlfarben und ihr Album „Monarchie und Alltag“, mit dem sie 1980 das Zeitgefühl einer ganzen Generation trafen

Cover Fehlfarben

Die frühen 80er Jahre, das war für viele junge Menschen vor allem Tristesse, Kalter Krieg, no future, Beton, graue Städte und Orientierungslosigkeit. Jugendliche Proteste kamen als Importware von den britischen Inseln. Auch in Deutschland bauten sich Subkulturen ihre Nester in heruntergekommenen Kneipen und Übungsräumen.

In einem solchen Nest in Düsseldorf brüteten die Fehlfarben Monarchie und Alltag aus. Ein Album, mit dem es ihnen gelang, das prägende Zeitgefühl zu vertexten und zu vertonen. Im Begleitheft der CD-Ausgabe heißt es: „Das Buch des Jahres 1980 war sozusagen eine LP“. Viele der Stücke sind noch heute beklemmend.

Monarchie und Alltag war erfolgreich und wurde deshalb oft belächelt. Doch das es wirkt bis heute: Ohne die Fehlfarben sind Blumfeld & Co. nicht vorstellbar, es zog die Entstehung einer neuen deutschen (Pop-)Musik nach sich.

Das Album ist wütend, verzweifelt und ironisch. Es versammelt die klügsten Texte, die die deutsche Punk- und New Wave-Szene je hervorbrachte. Peter Heins treibender Sprechgesang ist typisch für eine sich Ende der 70er Jahre entwickelnde avantgardistische Musik-Szene. Ihre Protagonisten sangen auf deutsch, weil sie etwas zu sagen hatten und sich so deutlicher ausdrücken konnten. Und weil sie sich von der dominierenden Musikkultur abgrenzen wollten. Die Musik der Fehlfarben – hier ein Saxofon, da eine nervöse Gitarre, viele Lieder mit Ska-Einflüssen – funktioniert nur über die starken Texte. Sie machen den Kern aus, sie tragen, sie bleiben im Gedächtnis. Jede Zeile hätte das Zeug zum Schlagwort.

Der Zynismus von Es geht voran ist verpackt in eine grässliche Disco-Nummer, ein missverstandener Party-Hit. Die Zeilen „Keine Atempause, Geschichte wird gemacht, es geht voran. Graue B-Film-Helden regieren bald die Welt“, könnten aus einem aktuellen Stück sein. Man müsste nur das Wort „bald“ streichen.

Auch heute noch kann man zum Rebell werden, wenn man die Fehlfarben hört. Zu einem, der weiß, dass er schon verloren hat.

„Monarchie und Alltag“ von den Fehlfarben ist als CD erhältlich bei EMI

Hören Sie hier einen Ausschnitt aus „Gottseidank nicht England“

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Alte Platten neu gehört

Es begann im August 2006: Einen Monat lang stellten Autoren von ZEIT ONLINE ausschließlich alte Platten vor, die nicht in Vergessenheit geraten sollten. Seitdem erinnert der Tonträger, unser Musikblog, in loser Folge an besondere Alben, die vor langer Zeit veröffentlicht wurden. Manche von ihnen sind so gut, dass sie dieser Tage neu aufgelegt werden.

Wir wollen uns fragen, welche Werke ein erneutes oder erstmaliges Hinhören lohnen. Es geht hier nicht um einen Kanon der besten oder wichtigsten Platten aller Zeiten. Wir wollen einfach nur die Ohren öffnen für Platten, die uns aus ganz verschiedenen Gründen am Herzen liegen. Das sind Alben, die uns lange begleitet haben, die sich immer mal wieder ins Gedächtnis rufen. Solche, zu denen wir uns zurückziehen, wenn die Flut der Neuveröffentlichungen zu tosend wird. Das sind auch Platten, die unser eigenes Werden geprägt haben. Und welche, über die wir erst spät gestolpert sind, die uns im Nachhinein empfohlen wurden, die uns staubig und zerkratzt auf einem Flohmarkt ins Auge fielen oder erst durch ein Sonderangebot im Plattenladen interessant erschienen.

Musikalische Schätze aus fünf Jahrzehnten – jeder ist es wert, wiederentdeckt zu werden. Nur eine Vorgabe haben alle Alben zu erfüllen: Sie müssen noch erhältlich sein, denn es könnte ja geschehen, dass der eine oder andere Leser zum Hörer werden will.

Alle bisherigen Beiträge aus der Serie ÜBER DIE JAHRE
(63) Paul Simon: Graceland (Warner/Sony 1986/2012)
(62) Megadeth: Peace Sells…But Who’s Buying? (EMI 1986/2011)
(61) Johnnie Taylor: „Live At The Summit Club“ (Stax/Concord)
(60) Anvil: „Metal On Metal“ (Attic Records)
(59) The Feelies (Domino)
(58) Kraftwerk: „Der Katalog“ (EMI/Capitol)
(57) Stone Roses (Silvertone, 1989)
(56) Def Leppard: „Hysteria“ (Mercury/Universal 1987)
(55) Magma: “Mekanik Kommnadoh” (Harmonia Mundi 1969/2009)
(54) James Brown: “Love Power Peace” (Polygram 1971)
(53) The Monks: „Black Monk Time“ (1966)
(52) Queen: „Queen II“ (1974)
(51) Beastie Boys: „Paul’s Boutique“ (1989)
(50) Journey: „Escape“ (1981)
(49) Spherical Objects: „No Man’s Land” (1982)
(48) David Bowie: „Heroes“ (1977)
(47) Sabine Vogel: “Aus dem Fotoalbum eines Pinguins, Part 1 & 2″ (2006)
(46) Lol Coxhill: „Ear Of The Beholder“ (1971)
(45) Rolf Kühn: „More, More, More & More“ (2008)
(44) Tindersticks: „I“ (1993)
(43) The Sisters Of Mercy: „First And Last And Always“ (1985)
(42) Wareika Hill Sounds: „s/t“ (2007)
(41) Dennis Wilson: „Pacific Ocean Blue“ (1977)
(40) Klaus Nomi: »Nomi« (1981)
(39) GAS: »Nah und Fern« (2008)
(38) Liquid Liquid: »Slip In And Out Of Phenomenon« (2008)
(37) Nick Drake: »Fruit Tree« (1979)
(36) The Sonics: »Here Are The Sonics!!!« (1965)
(35) dEUS: »In A Bar, Under The Sea« (1996)
(34) Miles Davis: »On The Corner« (1972)
(33) Smog: »The Doctor Came At Dawn« (1996)
(32) Naked Lunch: »This Atom Heart Of Ours« (2007)
(31) Neil Young: »Dead Man« (1996)
(30) The Exploited: »Troops Of Tomorrow« (1982)
(29) Low: »Christmas« (1999)
(28) Nena: »Nena« (1983)
(27) Curtis Mayfield: »Back To The World« (1973)
(26) Codeine: »The White Birch« (1994)
(25) The Smiths: »The Queen Is Dead« (1986)
(24) Young Marble Giants: »Colossal Youth« (1980)
(23) Sister Sledge: »We Are Family« (1979)
(22) Rechenzentrum: »The John Peel Session« (2001)
(21) Sonic Youth: »Goo« (1990)
(20) Flanger: »Spirituals« (2005)
(19) DAF: »Alles ist gut« (1981)
(18) Gorilla Biscuits: »Start Today« (1989)
(17) ABC: »The Lexicon Of Love« (1982)
(16) Funny van Dannen: »Uruguay« (1999)
(15) The Cure: »The Head On The Door« (1985)
(14) Can: »Tago Mago« (1971)
(13) Nico: »Chelsea Girl« (1968)
(12) Byrds: »Sweetheart Of The Rodeo« (1968)
(11) Sender Freie Rakete: »Keine gute Frau« (2005)
(10) Herbie Hancock: »Sextant« (1973)
(9) Depeche Mode: »Violator«(1990)
(8) Stevie Wonder: »Music Of My Mind« (1972)
(7) Tim Hardin: »1« (1966)
(6) Cpt. Kirk &.: »Reformhölle« (1992)
(5) Chico Buarque: »Construção« (1971)
(4) The Mothers of Invention: »Absolutely Free« (1967)
(3) Soweto Kinch: »Conversations With The Unseen« (2003)
(2) Syd Barrett: »The Madcap Laughs« (1970)
(1) Fehlfarben: »Monarchie und Alltag« (1980)

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Ein Stück Musik erfinden

Der Gitarrist Ralph Towner ist ein stiller Innovator. Seine Kompositionen prägten den Sound der Band Oregon, nun gibt es ein neues Soloalbum von ihm: „Time Line“

Cover Towner

Der Gitarrist Ralph Towner ist einer der wenigen eigenständigen Ideenentwickler des zeitgenössischen Jazz. Sein Spiel ist geprägt von stilistischer Offenheit und einem erstaunlichen improvisatorischen Erfindungsreichtum. Singbare Melodien, spontane Kompositionen und kollektive Erfahrung bestimmen auch den Klang der von Towner mitgegründeten Band Oregon, einer Band von „vier Typen, die ein Stück Musik erfinden”. Der amerikanische Komponist Aaron Copeland soll einst nach einem Oregon-Konzert gesagt haben, dass diese Band das improvisiere, was Luciano Berio zu komponieren versuche.

Sein klassischer Hintergrund als Komponist und Musiker klingt nicht nur in den kollektiven Improvisationen bei Oregon durch, sondern prägt auch Towners Solo-Aufnahmen. Auf seinem neuen Album Time Line benutzt er Material aus dem Jazz und der modernen klassischen Musik. Ein Unterschied zwischen notierter und spontan improvisierter Musik ist kaum auszumachen.

Towner hat zahlreiche Aufnahmen für die Plattenfirma ECM gemacht, seine drei bisherigen Gitarrensoloalben Solo Concert, Ana und Anthem sind allesamt herausragend. Ähnlich wie Keith Jarrett und Jan Garbarek nimmt er schon seit Jahrzehnten für das Münchner Label auf. Und er verdankt ihm einiges, ECM-Chef Manfred Eicher produzierte seine Band und holte sie aus den New Yorker Folkclubs auf die kammermusikalischen Off-Bühnen in Europa.

Time Line enthält Stücke für sechs- und zwölfseitige Gitarre, die er in den letzten Jahren auf seinen Solo-Konzerten häufig gespielt hat. Neben Eigenkompositionen befinden sich auch die beiden Jazz-Standards Come Rain Or Shine und My Man’s Gone Now auf dem Album, reinterpretiert im Stile des Pianisten Bill Evans. Für den 66-jährigen Towner geht es in dieser Musik um existenzielle Erfahrungen, die nicht mit Worten kommuniziert werden: „Der Sound reicht tiefer als eine gut erzählte Geschichte, er versetzt mich an einen magischen Ort.“

„Time Line“ von Ralph Towner ist als CD erschienen bei ECM.

Hören Sie hier „If“

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Diverse: „The House That Trane Built“ (Impulse! 2006)
Kidd Jordan: „Palm Of Soul“ (AUM 2006)
Root 70: „Heaps Dub“ (Nonplace 2006)
Hank Mobley: „Dippin’“ (Blue Note 2006)
Andrew McCormack: „Telescope“ (Dune 2006)

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Buster Keaton und ein Märchenkönig

Eigentlich ist Markku Peltola ja Schauspieler. Wenn er Musik macht, dann kullern und hüpfen die Melodien und Rhythmen durch eine fantastische Welt, dann torkelt die Posaune und der Tango klingt falsch herum. Mit skandinavischer Volksmusik hat das nur noch wenig zu tun

Cover Peltola

Ein Mond sitzt bei lustiger Musik um Mitternacht in einem Theater und weckt einen Clown in seiner roten Kiste, beide laden zum Spiel ein. In der Eingangsszene erscheint nach dem erfolgreichen Beseitigen von Zeitungsschnipseln ein schwarzer musikalischer Clown. Eine trommelnde Katzenfrau lässt sich zu schmatzenden Küssen und Augenrollen überreden, ihre Barthaare entpuppen sich als Harfe. Die rote Haarpracht eines Löwen erscheint wie Gras, das sich bei Berührung wie im Wind wiegt und zarte sphärische Klänge hören lässt.

Was ist das? Das sind einige Szenenbeschreibungen zum Mitternachtsspiel, einem Computerspiel für Kinder, entworfen nach der Vorlage der tschechischen Bilderbuch-Künstlerin Kveta Pacovská. Die interaktive und wortlose Lernsoftware zum kreativen Musikmachen fasziniert seit über zehn Jahren nicht nur die Kleinen.

Die Musik des Finnen Markku Peltola erinnert an die varieteartigen Dada-Welten dieses Computerspiels. Seine Melodien und Rhythmen kullern und hüpfen genau wie die freundlichen Dali-Figuren in sich stetig, aber leise verändernder Gestalt durch eine Fantasieumgebung in einfachen Grundfarben. Sogar die Zeichnungen auf dem CD-Cover ähneln dem Grafikstil des Mitternachtsspiels, und Peltolas kleine Kammermusiken aus Gitarre, Geige und sanft groovendem Schlagwerk könnten die Fortsetzung der kindlichen Interaktionsversuche ohne großes Thema sein.

Gitarrist Markku Peltola ist eigentlich Schauspieler, er spielte die Hauptrolle in Aki Kaurismäkis Der Mann ohne Vergangenheit. Der Titel seines zweiten Albums ist etwas sperrig: Markku Peltola & Buster Keaton Tarkistaa Lännen Ja Idän, er bedeutet in etwa Markku Peltola und Buster Keaton schauen in verschiedene Himmelsrichtungen. Wie schon vor zwei Jahren zaubert er mit ein paar Mannen Unterstützung eine zeit- und ortlose Folklore. Die Melodieführung übernehmen im Wechsel eine verhuschte Blechbläserstimme und eine Geige. Fast könnte der Eindruck traditioneller skandinavischer Volksmusik aufkommen. Doch da sind elektrische Gitarren und ein paar elektronische Filter, die schüchternen Tangoeinsätze klingen wie rückwärts aufgenommen und die komplizierten Arrangements trudeln mitsamt dem entspannten Offbeatgeplucker in Zeitlupe am Ziel vorbei.

Aus dem Nichts tauchen Parallelen auf, in dem dreizehnminütigen Western-Swing-Dub Juuri Nain! zum Soundtrack des Antonioni-Klassikers Zabriskie Point, in dessen intensivsten Szenen mit minimalistischem Psychedelik-Folk eine Atmosphäre der intimen Verdichtung inmitten der Verlorenheit einer menschenleeren Wüstenlandschaft beschworen wird. Im Schlussstück Lex Plays His Luthor‘s Space wiederum könnte die torkelnd frohlockende Posaune auch einen kleinen Märchenkönig ankündigen, der wie im Mitternachtsspiel aus einer Schachtel hopst, und, während er ins Blech tutet, ein anderer wird.

Der Begriff surreal ist aus der Mode gekommen. Heute ist alles virtuell, was ein stets waches Bewusstsein über künstlich erzeugte Zustände und die Art ihrer digitalen Herkunft impliziert. Nur selten, und dann meist im Zusammenhang mit den besonderen Fähigkeiten kindlichen Erlebens, kommt es noch vor, dass eine so genannte virtuelle Welt sich warm und echt anfühlt, weil der Mensch es sich erlauben kann, sich völlig darin zu verlieren. Weil die verwendete Bildersprache und Klangästhetik, vollkommen jenseits von echt oder virtuell, vielmehr surreal ist.

Auf diese sympathische Art macht Markku Peltola surreale Musik, sie gaukelt einem nichts künstlich Echtes vor, sie erhebt einen lässig und augenzwinkernd ein Stückchen über die Realität. Gerade soviel, dass man nach dem Schweben nicht zu hart landet.

„Buster Keaton Tarkistaa Lännen Ja Idän“ von Markku Peltola ist erschienen bei Klangbad, vertrieben wird sie durch Broken Silence

Hören Sie hier „Lex Plays His Luthor‘s Space“und „Äkisti Toiseen Viistoon!“

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Victory At Sea: „All Your Things Are Gone“ (Gern Blandsten 2006)

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Keine Lust auf den Schwitzboden

Das Kammerflimmer Kollektief ließ sein Album „Absencen“ von neun Remixern durch den Wolf drehen. Herausgekommen ist ein überraschend ideenreicher Mix aus Jazz und Elektronik

Cover Kammerflimmer Kollektief

Mit Remixen ist das so eine Sache. Meist sollen sie in den Clubs neue Käuferschichten erschließen. Oder als Bonbon für Fans den Verkauf einer Single anregen. Die Ergebnisse sind meist allenfalls leidlich originell. Immer wieder aber gibt es Ausnahmen, Neubearbeitungen von Stücken, die diesen etwas neues abgewinnen. Die mehr sind, als die Abkürzung von der Hitparade in den Club.

Neun Remixer nahmen nun das Album Absencen des Kammerflimmer Kollektiefs auseinander und setzten es neu zusammen. Und hier gehen die Stücke einen weiten Weg. Absencen erschien 2005 und war eine vielgestaltige, schimmernde Mischung aus sphärischer Elektronik und hektisch improvisiertem Jazz. Ganz wunderbar, so poetisch und vibrierend. Eine lebendige Platte, die sich mit jedem Hören weiter öffnete, immer ein kleines bisschen mehr von sich preisgab, aber bis heute nicht gefällig wurde. „Ein stilles Implodieren und kreischendes Hauchen, ein nachhallender Aufschrei des Free Jazz belästigen den Wohnzimmerklang, ein Versuch, die Schönheit zum Leuchten zu bringen, in dem sie zart zerstört wird!“ schrieb Konrad Heidkamp in der ZEIT über Absencen.

Die vom Kammerflimmer Kollektief engagierten Remixer stammen allesamt aus dem Elektronikbereich. Dennoch versuchen die meisten gar nicht erst, die Auftraggeber in den Tanzclub auszuführen. Harmonium und Altsaxophon, Vibraphon und Klarinette treten zwar in den Hintergrund, sämtliche Remixer holen die Stücke weiter in die Elektronik. Doch die Überraschung gelingt: es schadet nicht, dass die ursprüngliche Ausgeglichenheit zwischen Akustik und Elektronik aus dem Gleichgewicht kommt und Grundierung und Figuren plötzlich trennbar erscheinen.

David Last macht aus dem im Original kaum anderthalb Minuten langen Matt eine düster schwebende Dub-Nummer. Das ruhige, optimistische Nach dem Regen wird bei Aoki Takamasa zu einem hektischen Geplatter, einem sommerlichen Wolkenbruch. Am stärksten ist die Platte dort, wo ganz auf einen durchgängigen, dominanten Rhythmus verzichtet wird. Unter Jan Jelineks Fingern wächst Unstet zu einem bebenden, drängenden Monstrum. Hans Appelqvist macht aus Shibboleth mit Hilfe einer akustischen Gitarre und einer lustigen Tröte eine originelle kleine Popnummer. Und bei Nachtwache von Lump200 treten plötzlich Instrumente und Klänge in den Vordergrund, die man im Original einfach überhört hat. Knarzige, kaputte Schlagzeugklänge und ein ganz simples Keyboard-Muster brechen die ursprüngliche Struktur vollkommen auf, lassen neue Verbindungen entstehen. Das Stück wabert um ein ganz neues Zentrum.

Zwei Remixer zerren ein bisschen zu ideenlos am Original. Secondos Version von Unstet ist stumpf geraten, von der ursprünglichen Spannung bleibt nicht viel erhalten. Sutekh mischt mehrere Stücke erst originell zusammen zu seinem Absencen, macht dann aber den Fehler, das ganze zu einer langweiligen Tanznummer aufzumotzen.

Gerade im Kontrast wird klar: Die Stücke brauchen keinen neuen Beat, sie wollen gar nicht eingefangen werden. Und in den Club wollen sie schon gar nicht.

„Remixed“ und „Absencen“ vom Kammerflimmer Kollektief sind erschienen bei Staubgold

Hören Sie hier „Nachtwache“ von Lump200 und zum Vergleich das Original „Nachtwache, 15. September“ vom Kammerflimmer Kollektief

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John Hegre & Maja Ratkje: „Ballads“ (Dekorder/A-Musik 2006)
Aosuke: „Monotone Spirits“ (Audiolith 2006)
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(Lado 2006)
Casiotone For The Painfully Alone: „Etiquette“ (Tomlab 2006)
Barbara Morgenstern: „The Grass Is Always Greener“ (Monika 2006)

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Eine Orgel über den Wassern

Dringlich, düster, antreibend klingt die Musik der norwegischen Band The Low Frequency In Stereo. Nun, sie meinen ernst. Gerade kommt ihr drittes Album: „The Last Temptation Of… Volume 1“

Cover TLFIS

Nele hatte Geburtstag, es ist schon drei Jahre her, und sie hatte gemeint, komm doch in die Astra Stube, da spielt’ne Band und hinterher feiern wir noch, so bin ich da hin und hörte The Low Frequency In Stereo zum ersten Mal, gleich live.

Es sind ja oft Zufälle, die einen musikalisch weitertragen. Der richtige Abend, die passende Stimmung, die Abwesenheit von Erwartung, Freunde, und – nicht zuletzt – die Verfassung der Musiker.

The Low Frequency In Stereo kamen aus Norwegen; weder weiß ich aus der Erinnerung zu sagen, woher genau, noch wie viele es waren, obwohl ich mich sogar mit ihnen unterhielt, aber da war es schon spät, und wir waren alle nicht mehr allein.

Sie spielen einen schrammeligen, lauten Rock, was meinem Hang zur Feinheit, zur Transparenz und zur Lyrik nicht eben entgegenkommt. Aber sie lassen auf ihren stürmischen Wassern eine Heimorgel schwimmen. Sie haben zudem eine gewisse Dringlichkeit in ihrer Musik, etwas Düsteres, Antreibendes, es geht ihnen um etwas, sie meinen es ernst, das spürt man sofort, und sie nehmen sich die Zeit, die sie brauchen. Jenseits ihrer schnellen Stücke haben sie keine Eile, und so gibt es sie immer noch, gerade haben sie ein neues Album herausgebracht, das dritte erst.

Die Astra Stube liegt am Rande des Hamburger Schanzenviertels an einer vielbefahrenen Kreuzung und noch dazu unter einer Eisenbahnbrücke. Hier rattern alle Züge rüber von oder nach Skandinavien. Der Club ist winzig. Wenn man selber reingeht, ist er schon halb voll. Musik kann hier sehr intensiv werden, eindrücklicher als anderswo. In der Astra Stube können Musiker nicht einfach nur so spielen. Sie müssen es wollen.

Nach dem Auftritt der Band verspürte ich plötzlich den Wunsch, mir von ihr etwas mitzunehmen, eine Platte möglicherweise, ein Echo jener schweren Wellen, die sie durch die Nacht geschickt hatten. Ich kaufte mir eine Single und ein T-Shirt, auf dem zwei dicht beieinander stehende Hochhäuser sehr unterschiedlicher Breite zu sehen waren, ein nachhaltig beunruhigendes Bild. Auch der Name der Band beschäftigte mich, zeichnen sich tiefe Töne doch durch ihre Nichtverortbarkeit aus. Niedrige Frequenz in Stereo: Wie sollte das gehen? So machte diese Band auch ein kleines Geheimnis.

Ihre Mitglieder waren übrigens blutjung, jünger noch als Nele, deren Geburtstag wir bis in die Frühe feierten, am Fenster der Astra Stube sitzend, unter der Brücke auf die Kreuzung blickend, die in ein unwirkliches gelb-orangefarbenes Licht getaucht war. Lastwagen fuhren von links und rechts aneinander vorbei, und auch ihre Schatten hatten dieses gelbliche Orange, nur etwas fahler.

„The Last Temptation Of… Volume 1“ von The Low Frequency In Stereo ist als LP und CD erschienen bei Rec90/Cargo

Hören Sie hier „Big City Lights“

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